Flügelverleih meets Hattie

30. Juli 2011

Sommerferien

Abgelegt unter: Das pädagogische Schweizermesser — heinz.bayer @ 18:35

Seele baumeln lassen

Das Schuljahr verarbeiten

Nach den Ferien ist der Kopf wieder frei.

Keine Sorge – sollten Sie regelmäßiger Blogleser sein – Seele baumeln lassen heißt für mich auch: In Ruhe und entspannt schreiben können. Mehr Zeit dafür haben. Schreiben und im Moment ein guter Chianti. Das ist Lebenslust pur. Für mich wohlgemerkt. Andere gehen Bergsteigen oder Windsurfen, Museen besuchen oder liegen genussvoll am Strand.

Sommerferien 2011 heißt für mich, das pädagogische Schweizermesser neu aufzulegen. Geschrieben als Fortbildungsskript für meine Lieblingsfortbildung. Einmal im Jahr kommen alle frischgebackenen Schuldirektoren aus Baselland ans Faust-Gymnasium. Eine ehemalige Schülerin kennt als Direktorencoach unsere speziellen Qualitäten. Weiß, dass man bei uns zeigen kann, was passiert wenn man als Direktor Dinge zulassen kann. Wenn man mit flachen Hierarchien arbeitet. Wenn dann auch Lehrer zulassen können. Was Schüler leisten können, wenn man sie einfach in erster Linie als Persönlichkeit ernst nimmt. Das kostet keinen Cent, ist aber hocheffizient. Wir können so zum Beispiel im Moment ein junges Schülerkollegium von 70 Coachs der Klassen 9 bis 12 vorweisen, die ernsthafte Bildungsarbeit mit kleineren Schülern in der Nachmittagsschule betreiben. Das ist schon lange ein „Spezialgebiet“ unserer Schule: Schüler/innen ernst nehmen. Nicht alle schaffen das, keine Sorge. Wir sind kein so außergewöhnliches Gymnasium. Wir sind personell vom Regierungspräsidium mehr oder weniger von außen zusammengepuzzelt. „Macht euch klar, wie froh ihr euch schätzen könnt, eure Leute selbst einstellen zu können,“ hat Veronika Lévesque von der Erwachsenenbildungsstelle Baselland bei der letzten Fortbildung im Juli zu ihren Direktoren gesagt. Hier in Deutschland wird einfach zugewiesen. Verrückte Sache. Ein Betrieb, dessen Mitarbeiter nur nach einem schlichten Fächerbedarf verteilt werden. Nicht danach, ob ein Lehrer auch an eine Schule passt. Da würde jeder Betrieb umgehend Konkurs anmelden können. Na ja, Schulen schaffen es schon irgendwie. Man ist es ja gewohnt, sich zusammenzuraufen. Aber es ist eben unbefriedigend. Nur bringt das hier nichts, darüber zu lamentieren. Man sollte es einfach wissen. Ich bin der Pragmatiker, der sich fragt, wie man unter den ganz normalen Bedingungen eines personell sehr zufällig bestückten Betriebes trotzdem optimiert arbeiten kann.

Beim pädagogischen Schweizermesser ging es vor ein paar Jahren speziell um den außerunterrichtlichen Bereich. Tonstudio, Filmteam, Solartechnik, Umweltschutz, Politcafé, Jahrbuchteam, Mode-Designteam etc etc … Wir haben in den letzten Jahren mit so vielen Dachleuten der Zukunft die verschiedensten Projekte verwirklicht, die aber immer auf aktuell an der Schule lebende Schüler setzten und nicht auf aktuelle Lehrer.

„Schülerschule“ war der Projekttitel, mit dem uns die EXPO2000 Jury nominiert hatte. „Prinzip Kaktus“ der Konzepttitel, den einmal ein Hochaktiver kreiert hat.

Der Kaktus ist ein Gewächs, das mit wenig Pflege auf kargem Boden oft erstaunliche Blüten treibt.Der Kaktus geht aber auch bei zu viel Pflege ein.

Der Kaktus ist ein Gewächs, bei dem man für viel Fleisch und Substanz eben auch Stacheln in Kauf nehmen muss – sicher keine bequeme Pflanze, aber eine mit ungeheuer effektiver Leistungsbilanz.

Wenn man als Lehrer gewöhnt ist, eine Stunde vorzubereiten,

damit diese Stunde dann auch nach eigenen Vorstellungen abläuft – immerhin hat man dafür ja ein Hochschulstudium absolviert – wenn man als Lehrer also daran gewöhnt ist, den Weg klar vorzugeben und zu strukturieren, dann ist die Sache mit dem Kaktus sehr gewöhnungsbedürftig. Denn man hat die Sache einfach nicht wie gewohnt in der Hand. Es gleicht eher einer Fahrt mit einem prallgefüllten gelben Gummiboot als einer Zugfahrt auf Schienen mit Fahrplan und Ankunftsgarantie. Die Rolle des Lehrers in der freien Teamarbeit von selbstständig aktiven Schülern ist das pädagogische Begleiten eines sich selbst steuernden intensiven Lernprozesses.

Man muss als Lehrer nicht mehr wissen als seine Schüler, um etwa einen Netzwerk-Kurs erfolgreich zu leiten. Oder ein Tonstudio betreiben zu lassen. Die jahrelangen Erfahrungen mit dem Konzept der fausTeams im außerunterrichtlichen Bereich

haben gezeigt: Das Prinzip Kaktus ist eine erfolgreiche didaktisches Arbeitsweise.

(aus dem pädagogischen Schweizermesser)

Inzwischen ist unsere außerunterrichtliche Arbeit samt Grundidee zentral in der Schule angekommen. Bei unseren Schweizer Gästen präsentieren wir natürlich auch heute noch diese außerunterrichtlichen Möglichkeiten einer „Schülerschule“, die ja immer noch aktuell sind. Hauptsächlich geht heute aber diese Fortbildung um Menschenbild und individuelle Betreuungsmöglichkeiten in dem Gesamtkonzept einer Schule. Um die riesigen Chancen, die man sich vergibt, wenn man als Schule nicht die Fähigkeiten zukünftiger Leistungsträger schon früh einsetzt. Chancen für die Schule und für das Ernstnehmen junger Menschen. Deshalb werde ich in diesen Ferien das Pädagogische Schweizermesser vollkommen neu auflegen und Sie hier daran teilhaben lassen. Sollten sie also Zeit, Lust und Muse haben, ich werde mein Traumbild Schule unter den ganz normalen Bedingungen eines Durchschnittsgymnasiums hier in eine Vision packen, mit vielen realen, funktionierenden Bereichen aus der real existierenden Schulpraxis am Faust-Gymnasium in Staufen.

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23. Juli 2011

Der heimliche Lehrplan

Abgelegt unter: Menschenbild — heinz.bayer @ 07:36

Sie fragen sich vielleicht manchmal beim Lesen, ob das, was ich hier so schreibe, denn Schüler verstehen könnten, wenn sie sich damit beschäftigen würden. Ob sie die Bildchen, die ich wöchentlich im Männerrevolteblog versenke, denn auch Schülern weiterhelfen könnte oder ob alles nicht nur die ausgeschmückte, uralte Variante von: „Du lernst nicht für die Schule, sondern für’s Leben“ Aussage ist, die zwar jeder Erwachsene aus der Erwachsenensicht sofort versteht, aber die an Jugendlichen normalerweise immer so abprallt.

Oder ob ich eben ein Blogger bin, der sich nur schöne Sachen ausdenkt, die bei Schülern nie ankommen können. Nur Faust-Eltern oder Schüler können ja meine vielen Sätze als Blogger mit meiner schulischen Wirklichkeit verbinden und beurteilen.

Ich gestehe, ich unterrichtsblogge eigentlich seit über 30 Jahren in jeder Klasse und Alterstufe mit wachsender Begeisterung. Und lasse meinen Unterricht und mein Unterrichtsbloggen schon immer am Ende des Schuljahres anonym bewerten. Damit ich von denen, die ich damit beriesle, lerne, wie ich mein Berieseln weiter optimieren kann. Unterrichtsbloggen verstehe ich so: Ich habe da einen Bildungsplan, den ich erfüllen muss. Der heißt für einen Physiklehrer in Klasse 7 zum Beispiel „Einstieg in die physikalische Gedankenwelt mit Hilfe  von Akustik, Optik und Energiefragen.“ Da sitzen also junge Menschen vor einem, deren Persönlichkeit ich als Erwachsener empfinden kann, wenn ich Sensoren dafür entwickle, wie Persönlichkeiten – noch dick eingepackt – in diesem Alter agieren. Dass da schon verpackte Persönlichkeiten sitzen, weiß jeder, der sich einmal gefragt hat, wie selbst Fünftklässler es schaffen können, einen ausgewachsenen Lehrer zur Verzweiflung zu bringen.  30 auch dick verpackte Persönlichkeiten haben die Kraft dazu. Da sitzen sie also und sind nicht so bildungshungrig, wie man das gerne hätte, obwohl man ja weiß, wie sehr sie später davon profitieren würden, wenn sie jetzt bei mir Physik satt einpacken könnten. Zumindest sich die Option offenhalten könnten, später Naturwissenschaften beruflich nicht auszugrenzen. Das Geschäft betreibe ich nun schon seit über 30 Jahren mit Visualisierungen an der Tafel, die ich dann oft sehr langatmig bespreche. Visualisierungen, die mir einfallen, wenn ich Unterricht vorbereite und ich nach neuen Motivationskicks suche, die es mir erlauben, kurz möglichst viele Schüler möglichst ernsthaft an meinen Physikunterricht heranzuführen. Ich beschreibe das einmal aus Schülersicht einer aktuellen 7. Klasse. 3 : 26 für mich, würde ich sagen. Aus den aktuellen anonymen Rückmeldungen. Zuerst die drei: „Ihre Bayer’schen Philosophie ist oft langweilig, andererseits hält es den Unterricht auf…“ schreibt ein Schüler. Männlich. In diesem Jahr in dieser Klasse muss es aber doch inzwischen richtig gut geklappt haben mit meinem heimlichen Lehrplan, denn nur noch 2 Mädchen (weiblich und männlich lasse ich immer notieren) beschreiben den heimlichen Bayer’schen Lehrplan etwa wie folgt: „Was Sie sagen, könnte man auch sehr viel kompakter sagen. Das „Gerede“ drum herum stört und lenkt von Tatsachen ab. Es wird langweilig. Außerdem sagen sie immer das Gleiche.“ Stimmt natürlich. Ich könnte sicher alles kompakter sagen, aber ich weiß aus der Erfahrung, durch die vielen Gespräche mit ehemaligen Schüler/innen, die ich natürlich alle immer unterrichtsgebloggt hatte, dass es eine erstaunliche Langzeitkomponente in dieser Methode gibt. „Ich muss dir was sagen. Ich verstehe jetzt genau, was du uns damals in der Elften versucht hast, uns über’s Leben beizubringen.“ hat mich vor vielen Jahren ein Jetzt-schon-lange-selbst-Vater begrüßt. „Es hilft mir übrigens sehr viel, wenn dich das beruhigt.“ Ja ich bin inzwischen wirklich sehr sicher geworden, dass es Sinn macht, was ich mit meinem heimliche Lehrplan bezwecke. Kontinuierliche Blickwinkelveränderungsversuche. Dieses Schalter umlegen und den eigenen Lernprozess verstehen, die Noten nicht so wichtig nehmen, dafür mehr auf den Wissenszuwachs setzen. Auf sich selbst vertrauen. Das ist immer die zentrale Aussage in den verschiedensten Variationen und Bildern. Deshalb hat die junge Dame aus der Siebsten mit ihrer Aussage „Außerdem sagen Sie immer das Gleiche.“ natürlich vollkommen recht. Aus der gleichen  Klasse habe ich dem gegenüber 26 Reflexionsblätter liegen, die schon jetzt verstehen und empfinden können, auf was es mir ankommt. „Mich nervt das viele Gerede ziemlich oft, aber ich merke schon irgendwie, dass ich so eigentlich mehr lerne. Bei mir bleibt so viel mehr hängen……“Ich finde es eigentlich ziemlich gut, wenn Sie uns etwas erzählen. Es bringt mich immer sehr zum Nachdenken & ich komme darauf, dass sie recht haben.“ Das funktioniert natürlich nur, wenn Schüler auch wirklich merken, dass man sie ernst nimmt. „… Sie behandeln Schüler mit Respekt. Ich finde, dadurch verschafft man sich als Lehrer auch selbst mehr Respekt….“ beschreibt eine Schülerin eine einfache Wahrheit auf klare Weise. “Mir bringt Ihre Unterrichtsart eigentlich ziemlich viel, weil es bringt mich zum Nachdenken & ich höre dadurch auch in Physik zu & ich denke nicht gleich, dass ich es eh nicht kann, sondern probier’s.”  – ” Mich nervt das viele Gerede ziemlich oft, aber ich merke schon irgendwie, dass ich so eigentlich mehr lerne. Bei mir bleibt so viel mehr hängen.” Ja genau das will ich ja. Ich könnte jetzt viele ähnliche Aussagen meiner Kunden einer 7. Klasse 2010/11 hier auslisten, ich belasse es aber mit einem männlichen Schlusswort: „Der Bayer redet sehr viel. Es ist zwar etwas nervig, aber eine sehr effektive Lehrmethode.“ Die Visualisierung der Woche, die ich für meine Schüler/innen, die ich jetzt vielleicht nie mehr unterrichte, an die Tafel gemalt hatte, will ich Ihnen nicht vorenthalten. Üblicherweise würden die meisten Menschen das erwachsen werden mit dem oberen Bild beschreiben. Wie das kontinuierliche Aufeinanderstapeln von vielen Entwicklungspaketen ab der Geburt. Und ich sage aus 35jähriger praktischer Erfahrung mit der Entwicklung von Fünftklässlern zu Müttern und Vätern und beruflichen Vollprofis: Den fettesten Anteil am Erwachsen sein macht die Persönlichkeit aus, die jemand in dieses Leben mitbringt. Sie ist noch dick eingemummt, verpackt, versteckt und blitzt nur ab und zu schon ganz früh durch den Kokon. Sie entwickelt sich in diesem Schutz und festigt sich, wenn die Bedingungen gut sind. Packt Wissen und Lebenserfahrung dazu. In der Pubertät wird der Kokon zum Panzer. Zum Stachelkorsett. Auch nach innen. Der Umbau des Gehirns in der Pubertät ist oft auch für den Rüstungsträger schmerzhaft. Na ja, und irgendwann, wenn die Zeit reif ist, und die ist bei den verschiedenen Menschen eben verschieden, das muss man zur eigenen Beruhigung als Eltern wissen, bröckelt die Verpackung und die Persönlichkeit plus Wissen plus Lebenserfahrung kommen zum Vorschein und man fragt sich oft, warum so eine Persönlichkeit denn bitteschön in der Schule irgendwelche Schwierigkeiten hatte. Na ja, Sie wissen was jetzt kommt. „Außerdem sagen sie immer das Gleiche…“ schrieb die eine Schülerin. Klar, wir Lehrer sind eben schuld gewesen. Der Schuldige gefunden und dieses Wissen an die nächste Generation weitergegeben. Und alles geht in die nächste Runde.

So jetzt hör ich auf mit dem „Labert er mal wieder Zeug, aber manchmal ganz interessant…“ Bereich meiner Gedanken und fange den Unterricht nach Lehrplan an. Aber da müssen Sie jetzt nicht mehr dabei sein. Nein Stopp. Eines muss ich noch loswerden. Leider ist das mit der geschützten Persönlichkeit im Kokon nicht ganz so einfach. Denn man muss in allen Entwicklungsbereichen gut auf diese Persönlichkeit aufpassen. Sonst kommt sie am Ende verbogen heraus. Das ist für viele von uns leider die bittere Lebenswahrheit. Dazu vielleicht später mehr gebloggt.

14. Juli 2011

Blickwinkelveränderung und Zeugniskonferenzen

Abgelegt unter: Elterncoaching — heinz.bayer @ 21:39

Liebe/r Flügelblogleser/in

Ich unterbreche nun doch aus aktuellem Anlass kurz das „Erträumen einer neuen Schule in alten Gemäuern“, um den neuen Faust-Eltern meine Sicht des richtigen Umgangs mit dem eigenen Kind und seinen Noten zu schildern. Immerhin ist jetzt die Zeit der Notenkonferenzen. Ein schwieriges Unterfangen, wenn die Noten nicht so ausfallen, wie gewünscht. Beim größten Teil der Schüler/innen fallen die Noten übrigens sehr ansprechend aus. Ich habe heute spaßeshalber einmal alle Notenlisten am Faust geklickt. Die übliche gute normale Verteilung eben. Weil auch der Großteil der Klassen einen richtig guten Job macht. Als Gesamtklasse. Am schwierigsten haben es die Eltern von Kindern aus Klassen, die keinen richtig guten Job machen. Da gibt es immer ein paar. Diese haben die mehrheitliche, tragfähige Meinung entwickelt, dass Schule doof ist. Da kommen zu Hause dann die wildesten Schul-Geschichten an – und zwar aus allen Ecken. Weil man als Schüler/in aus Klassen, die nicht rund laufen, natürlich am einfachsten die Verantwortung abwälzt. Logisch, dass man das als Schüler so macht. Schüler sind ganz normale Menschen. Und äußerst erfinderisch. Und oft mitten in der Pubertät, in der sich das Gehirn gerade umbaut. Und da man als Vater oder Mutter meist noch selbst die kleine Ohnmacht der eigenen Schulzeit mit sich herumträgt – wer hat schon seine Schulerinnerungen ernsthaft verarbeitet – kommt diese eigene kleine Ohmnacht ganz schnell aus der Versenkung und federleicht stimmt man mit seinem Kind in den gleichen Klage-Chor ein: „Ich verstehe dich so gut. Diese Lehrer! Diese Schule! Dieses System! G8! Der Unterrichtsausfall!…“ Dann ist die Verantwortung weg von einem selbst. Also vom eigenen Kind. Wenn es die Lehrer nicht schaffen, den eigenen Sohn, der doch eigentlich begabt ist, was ja auch die Lehrer immer wieder bestätigt haben –„aber er arbeitet eben nicht“ – es nicht schaffen, ihn zu motivieren, dann haben sie doch echt den Job verfehlt. Warum sind sie denn dann Lehrer geworden? Nein selbst wolle man den Job natürlich nicht machen, aber die verdienen ja auch genug und haben doch wirklich viele Ferien. Und überhaupt.

Verantwortung weggeschoben, Problem hergeholt. Ganz ohne Not. Eins der am weitesten verbreiteten Fehler ist es, sich bedenkenlos hinter sein Kind zu stellen, wenn es um die Einschätzung von Unterricht und Schule geht. Was sich im ersten Moment nach Gutmensch anhört, ist in Wirklichkeit mit dem Versuch zu vergleichen, einem Schmetterling beim Schlüpfen zu helfen, indem man den Kokon aufschneidet, damit er sich nicht so abmühen muss. Dann wird der Schmetterling leider nie fliegen können. Die Natur hat dort die Mühe beim Schlüpfen als Prinzip eingebaut. Mein Tipp ist ganz einfach: Hören Sie sich die Nöte ihres Sohnes oder Ihrer Tochter in Ruhe an. Aber nehmen Sie nicht Stellung! Schimpfen Sie nicht mit! Sie kennen die Situation einfach nur aus der Sicht eines jungen Menschen, der sich in einer vollkommen unnatürlichen Situation befindet – wenn man es evolutionsmäßig betrachtet. 12 Jahre die Schulbank zu drücken ist durch Evolution noch lange nicht in Fleisch und Blut übergegangen. Das benötigt noch ein paar zehntausend Jahre. Denn mal ehrlich: Sie kennen nicht die Verhaltensweise Ihres Kindes im Klassenverband. Der Unterricht wird Ihnen garantiert aus einer sehr subjektiven Sicht geschildert. Logisch. Das ist auch nicht schlimm. Aber man darf es nicht 1:1 annehmen. Die eigene Arbeitshaltung wird selten miterzählt. Eine Drei auszuhalten ist übrigens vollkommen zumutbar. Nebenbei bemerkt. Man braucht als Eltern viel Geduld, denn Arbeitshaltungen werden oft nur langsam verändert. Schlagartig meist nur in Not. Von unseren seit vier Jahren spezialbetreuten Schülern – dieses Jahr hieß der Spezialkurs Break&Go  und lief über das Internet auf www.maennerrevolte.de – sind es allerdings immer nur ein paar, die schlagartig den Schalter richtig umlegen können. Die anderen müssen einfach geduldig warten und möglichst nicht aufgeben. Oder Coach im Flügelverleih werden. :-) Ja Sie hören richtig. Die Coachs im Flügelverleih werden im Durchschnitt automatisch in der Schule besser. Wissen Sie warum? Weil sie Schule plötzlich nicht mehr unter dem Aspekt von „Lehrer sind sowieso doof“ sehen. Sondern unter dem Aspekt: “Ich weiß vom Coachen, wie unendlich schwierig es bei manchen Schülern ist, dass man sie dazu bekommt, einfach konzentriert die Hausaufgaben zu machen.” Diese einfache Blickwinkeländerung bewirkt auf wundervolle Art und Weise eine wesentlich stressfreiere eigene Schulzeit für den Junglehrer. Für ihn und für seine Eltern.

Übrigens: Nächste Woche soll der Flügelverleih, also dieses jüngste Kollegium am Faust, einen Bürgerpreis2011 überreicht bekommen. Es hat sich herumgesprochen, dass sie eine richtig gute Arbeit machen. Gratulation an dieser Stelle.

Ach und noch etwas. Die wundervoll wirksamen Blickwinkelveränderungen können manche auch mit der Spezial-Ferienschule auf unserer Flügelverleih-Homepage hinbekommen, wenn sie sich darauf einlassen können. Haben mir zumindest einige Schüler/innen nach den letzten Sommerferien fröhlich berichtet. Ferien zum Blickwinkel verändern nutzen und nach den Ferien stressfreier Schule machen. Das ist der Trick, der keine Zeit zum Lernen kostet. Der Nachhilfe spart. Zumindest für so manchen Schüler offensichtlich umsetzbar. Das ist mein aktueller Tipp. Als Eltern darf man mit Fingerspitzengefühl mithelfen. Die Sommerschule des letzten Sommers funktioniert auch in diesem Sommer und ist immer noch unter www.faust-verleiht-fluegel.de herunterzuladen.

9. Juli 2011

Ankommen am Gymnasium

Abgelegt unter: Fünferhaus — heinz.bayer @ 19:13

Ich muss zwischendurch noch einmal betonen, dass ich hier keine Fantasieschule entwerfe, sondern das Faust-Gymnasium einfach ein wenig weiter träume. Also unser real existierendes normales Landgymnasium in Staufen mit jetzt schon vielen gut ausgereiften Ansätzen, mit einigen zusätzlichen Möglichkeiten gedanklich ausstatte, um einen noch effektiverer Lern- und Lebensraum zu erzeugen.

Die Kapitel der nächsten Wochen:

- Fünferhausidee und Flügelverleih

- Hausaufgabenhefte und Betreuungssysteme

- G8/G9 – die Splitting-Idee

- Teams, Coachs, Aktivitäten

- Betriebssysteme einer funktionierenden Schule

Fünferhausidee und Flügelverleih

Ich gestehe, Klasse fünf, da bin ich eigentlich schon richtig zufrieden, wie wir das inzwischen machen. Zur Nachahmung freigegeben. Ankommen am Faust. Ein eigener Pavillon mit 5 Klassenräumen. Klar, Geld war keines da, weil an einer anderen Stelle umgebaut wird. Deshalb haben wir einfach kreativ selbst finanziert. Farbe auf die alten Tischplatten gepinselt und die verdreckten Wände angemalt. Außerdem Spinde im Klassenraum für jedes Kind über die Eltern kreativfinanziert. Mit ein paar gebrauchten Schränken im Vorraum eine gute Atmosphäre erzeugt. Wenn man von den alten Toiletten und dem kaputten Teppichboden einmal absieht, ein Lernhaus mit viel Charme der ganz besonderen Art.

„Und die Unterrichtssituation? Ob ich mir nicht neue Unterrichtsformen zusammenträumen will?“ fragen Sie. „Mit lauter Wahnsinnspädagogen, die das auch so umsetzten können, dass es nur noch begeisterte Kinder gibt, die gerne lernen?“ Na ja, davon träumen Eltern natürlich. Ich bin lieber Realist, der die existierende schulische Situation jetzt verbessern will. An den Schulen hat sich so viel getan, auch an den ganz normalen Schulen, nur ist das den Wenigsten bewusst.

Aber es gibt etwas, über das das Kulturministerium ungern spricht.

In Baden-Württemberg hat in diesem Jahr der erste Schwung G8er zusammen mit den letzten G9ern Abitur gemacht. Zum Beispiel am Faust. Im nächsten Jahr wird es viele Doppeljahrgänge geben und dann gibt es nur noch das achtjährige Gymnasium. Dann können Sie die real existierende Lehrerschaft der nächsten 20 Jahre an den Schulen sehen. Diese Lehrer/innen werden gemeinsam altern und es werden fast keine Neuen mehr eingestellt. Das ist die bittere Wahrheit der verqueren Einstellungspolitik in BW. Stellen Sie sich einmal einen Betrieb vor, der es sich leistet, nur jedes Vierteljahrhundert einzustellen. Und dann im Pulk, weil die Altern gehen. Und dann auch noch von einer zentralen Verteilungsstelle aus. Denn Lehrer/innen werden nicht von der Schule aus eingestellt, wie das z.B. in der Schweiz der Fall ist. Schulscharfe Ausschreibungen für ein paar wenige Stellen, das war ein Zauberwort, das man an den Schulen in den letzten paar Jahren ab und zu hörte und sich freute, wenn man schulscharf ausschreiben durfte. Jetzt aber heißt es einfach: Träume dir eine Schule mit genau den Lehrer/innen, die jetzt da sind. Verbessere unter haushaltsmäßig schwierigen Bedingungen und den einfach fehlenden naturwissenschaftlichen Lehrer/innen trotzdem den Lebensraum Schule. Für unsere Kinder, aber auch für unsere hochtechnisierte und noch wohlhabende Gesellschaft, die in zehn oder zwanzig Jahren eben auch noch sehr gute Ingenieure, Ärztinnen, Informatiker, Juristinnen, Sozialarbeiter, Chemikerinnen, etc braucht, um im globalen Wettkampf zu bestehen.

Nachstehend nun nähere Informationen aus unserem Infoblatt zum Schuljahresanfang. Wir hatten uns die Sache so vorgestellt und wir sind alle nach einem Schuljahr sehr zufrieden mit dem Konzept. Die Stufenpädagogik am Faust wird in den nächsten zwei Jahren weitergehen, weil wir mit den guten Erfahrungen des Fünferhauses nun die Klassenräume der 6. und 7. Klasse in abgeschlossenen Bereichen wählen werden.

Aus dem Infoblatt:

Die pädagogische Idee des Fünferhauses

Die neuen Fäustlinge kommen von vielen verschiedenen Grundschulen des großen Einzugsgebietes mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen und schulischen Verhaltensweisen.

Die Spanne zwischen den junge lauten Wilden und den kleinen stillen Schüchternen wird immer größer.

Im Haupthaus gehen die Fünfer schnell in der Gesamtmasse Schüler unter. In einem eigenen Haus kann eine neue Übergangsdidaktik entwickelt werden, die eine neue Ernsthaftigkeit gleich zu Beginn des gymnasialen Lebenswegs für alle Fäustlinge erzeugen soll. In Kombination mit der Nachmittagsschule ist der Pavillon mit seinen 5 Räumen und dem eigenen Lehrerzimmer prädestiniert für diese Form von Pädagogik.

Das Fünferhaus soll überschaubarer Lebensraum Schule sein, in dem einheitliche Grundlagen für eine erfolgreiche Schullaufbahn gelegt und das soziale Gefüge der ganzen Stufe entwickelt werden kann.

Das Fünferhaus wird mit klaren Vorgaben arbeiten und Wert auf Einhalten von Grenzen legen. Das Fünferhaus sieht sich in der Pflicht, Erziehung zu einem einheitlichen positiven schulischen Verhalten auf den Lehrplan zu setzen, um die unterschiedliche familiären Vorstellungen auf ein schulisch einheitliches Niveau zu bringen und Eigenständigkeit und Selbstverantwortung zu normalen Begleitern des Schulalltags werden zu lassen.

Das Fünferhaus ist ein Haus der Stille.

Wir wissen, dass sich dies in der heutigen Zeit ungewöhnlich anhört. Wir sind der Meinung, dass Schülerinnen und Schüler durch ein liebevolles, aber auch strenges Regelwerk lernen können, dass Brüllen und Toben keine Notwendigkeiten des menschlichen Daseins sind. Dass Brüllen und Toben im Gegenteil dem positiven und selbstaktiven Lernen entgegenstehen. Wir glauben mit einer einheitlichen Pädagogik einen Gegenpol zum Mainstream setzen zu können.

Das Fünferhaus ist ein Haus der Sauberkeit und der Ordnung.

Wenn alle Fünftklässler/innen darauf ihr Augenmerk richten, ist dies kein Problem. Das  Erscheinungsbild einer Lernumgebung ist für das Lernen von großer Bedeutung.

Das Fünferhaus ist ein Haus des Lernens.

Wir sind der Meinung, dass es keine Überforderung darstellt, wenn Fünftklässler sich von Anfang an an konsequentes gymnasiales Arbeiten gewöhnen. Im Gegenteil. Die fünfte Klasse ist der richtige Zeitpunkt, die richtige und strukturierte Arbeitshaltung zu erlernen.

Das Fünferhaus ist ein Haus des Konflikte lösens

Wir arbeiten seit Jahren in den fünften Klassen verstärkt mit einem gut ausgebildeten Streitschlichterteam, dem im Fünferhaus eine besondere Rolle zukommt. Der Schulgarten ist Teil der Fünferhauspädagogik.

Flügelverleih – die Nachmittagsschule am Faust.

Wir besitzen 2 Jahre offene Ganztagesschul-Erfahrung. Wir bieten jeden Nachmittag Betreuung bei den Hausaufgaben durch Lerncoachs aus höheren Klassen. Neben dem hausaufgabenbereinigten, stressfreieren Familienleben sehen wir in der Nachmittagsschule den Vorteil, dass unsere betreuten Schülerinnen und Schüler Schule als Ganzheit und Lebensraum besser begreifen können, soziale Kontakte in einem behüteten und pädagogisch bunten Umfeld als Netzwerk erfahren und durch die älteren Coachs eine stärkere Einbindung in die gesamte Schule entwickeln. Die Nachmittagsschule wird von erfahrenen Pädagogen betreut. Weitere Vorteil für die Nachmittagsschüler: Unsere schuleigene Sozialpädagogin, die für viele Betreuungen und pädagogischen Projekte verantwortlich zeichnet, ist täglich vor Ort und ist damit für die Schülerinnen und Schüler eine konstante persönliche Größe. Die betreuenden Lehrer arbeiten eng mit den Fachlehrern zusammen. Nachmittagsschule und Fünferhaus bilden somit eine pädagogische Einheit.

Das Fünferhaus ist ein offenes Haus.

Wenn die Schüler/innen früh von den Bussen kommen, werden wir versuchen, schon vor Ort zu sein, damit das übliche lange Warten mancher Weitgereister in der Aula für die Fünfer durch ruhiges Ankommen im geöffneten und schon beaufsichtigten Fünferhaus ersetzt werden kann.

Das Fünferhaus ist ein selbstgestaltetes Haus.

Um den Charakter des Lebensraums Schule zu verstärken, werden wir die Gestaltung der Räumlichkeiten stark in die Hand der Neuen legen. Zu Beginn des Schuljahrs findet z.B. ein gemeinsamer Tisch- Lackier-Nachmittag statt, der den Räumen die eigene Note geben wird.

Das Fünferhaus ist ein Haus der Diskussion

Durch die gemeinsamen Räumlichkeiten werden wir klassenübergreifende Projekte ausprobieren und Dinge wie Wochenanfang und Tagesanfang gemeinsam entwickeln.

Das Fünferhaus ist ein Haus des pädagogischen Experimentierens

3. Juli 2011

Die Helden im Schulalltag

Abgelegt unter: Jungenproblematik — heinz.bayer @ 10:56

Ich träume heute mein Spezialbildungssystem nur ganz kurz durch die Kindergarten- und Grundschulzeit. Dort hat sich in den letzten Jahren sehr viel getan. Die Kolleginnen und Kollegen machen eine sehr gute Arbeit. Rückblickend erzählen die Kinder bei uns ja auch immer fast nur Gutes. Grundschule für Gymnasiasten, das war immer der Selbstläufer, wenn man genau zuhört. Gute Voraussetzungen, könnte man meinen. Irgendwo ist da aber trotzdem ein Systemfehler. Denn wenn die Jungs und Mädels in der weiterführenden Schule ankommen, fehlt viel zu vielen ein alles entscheidender Faktor: Die richtige Arbeitshaltung. Fragen Sie mich jetzt nicht, was man kindergarten- und grundschulseits ändern könnte. Ich bin in diesen Jahrgangsstufen kein Fachmann. Ich würde mir auf alle Fälle eine Pädagogik wünschen, die zentral und irgendwie bedingungslos am Thema Arbeitshaltung arbeitet. Wenn ich vom Design und von der Bequemlichkeit gesehen das tollste und schickste Auto baue, aber der Motor stottert, dann wäre dieses Auto unverkäuflich.

Speziell Eltern können hier natürlich entscheidend unterstützen. Von Babybeinen an. Da ist sehr viel Fingerspitzengefühl und ein gutes Gespür gefragt. Denn Arbeitshaltung ist eine komplexe Angelegenheit. Viel beobachten. Viel reflektieren. Viel darüber reden. Nicht immer auf die Umstände schieben. Langeweile zulassen, Langeweile selbstständig verändern lernen. Langeweile in Eigenständigkeit ummünzen lernen. Bei der allgemeinen Bespaßung des heutigen Kinderlebens immer auch an die Spätfolgen denken. Wer keine Zeit hat, sich mit sich selbst zu beschäftigen, der kann sich in der weiterführenden Schule schlechter zurücknehmen. Ein „absolutes Muss“ in Klassen, in denen oft 30 Schüler/innen sitzen. Aber diesen Grundlagen-Motor richtig gut zu konstruieren, viel Mühe genau hier zu investieren, das lohnt sich einfach.  Ich habe beim jetzigen Abitur die Arbeitshaltungsnoten meiner damaligen Fünftklässler und jetzigen Abiturienten mit den Abitursschnitten verglichen. Selbstläuferzeugnis habe ich diese Zeugnisse damals genannt. Der Zusammenhang der Abitursnoten mit der Arbeitshaltung in Klasse 5 – dem Selbstläuferverhalten – war fast ohne Abweichungen verblüffend klar und ableitbar: Sehr gute Arbeitshaltung in Klasse 5 und sehr gute Grundschulempfehlung brachte in dieser Klasse durch die Bank ein Abitursschnitt zwischen 1,0 und 1,5. Sehr gute Arbeitshaltung und eine gerade noch Gymnasialempfehlung war durch die Bank ein 2,5 bis 3,2 Schnitt. Eine mittelmäßige Gymnasialempfehlung und eine normale, durchschnittliche  Arbeitshaltung brachte für Mädchen einen Schnitt zwischen 2,1 und 3,2. Bei Jungs entweder einen Wechsel zur Realschule in nach Klasse 8 oder ein Gerade-noch-so-Abitur schlechter als 3. Bei einer knappen Gymnasialempfehlung mit schlechter Arbeitshaltung kamen weder Mädchen noch Jungs am Abitur an. Da gab es in dieser Klasse immer einen schnellen Schulwechsel vor Klasse 8. Zwei Abweichungen gab es. Ein 1,2 Abitur (männlich) trotz einer anfänglichen Selbstläuferschwäche. Das war eine klare Entwicklungssache. Der junge Mann hat einfach noch Zeit gebraucht, um seine Selbstständigkeit im Lernen auf die richtige Schiene zu setzen. Und dann gab es da noch ein Mädchen, das zwar ganz erfolgversprechend anfing, mit guter Arbeitshaltung und durchschnittlicher Gymnasialempfehlung. Aber dann durch die Vollpubertät wild gebeutelt wurde und vor dem Abitur mit Fachhochschulreife von der Schule ging.

Alles in allem für mich eine klare Ansage, die Arbeitshaltung in Klasse 5 genau zu beobachten und dies auch als wichtigen Indikator für spätere Schulleistungen zu sehen. Speziell die Eltern der klugen kleinen Jungs sollten diese Langzeitproblematik kennen. Kluge lebenslustige junge Menschen, die nach entspannten Grundschulzeiten ohne viel zu lernen – nur mit dem allmorgendlichen Gutaufpassen – locker die weiterführende Schule erreichen. Um dann schon in der 5. Klasse festzustellen: Die natürliche dauerspaßige Lebhaftigkeit, gekoppelt mit dem Unvermögen, sich längere Zeit konzentriert selbst zurücknehmen zu können, ist das Haupt-Startproblem am Gymnasium, Das sich in der 5. Klasse aber noch nicht in Noten ausdrückt. Da wird der lebhafte, lustige und clevere Bursche aus der 4. Klasse innerhalb eines halben Jahres zum hilflosen Westernhelden, dem die Prärie abhanden gekommen ist. Denn diese moderne Schule, meine Damen und Herren, setzt auf offene Systeme mit viel Selbstständigkeit und so manche jungen Helden reiten und jagen trotzdem immer noch in Wildwestmanier – dabei sind Indianer und Schurken alle verschwunden und auch keine richtigen, kernigen Sheriffs sind weit und breit in der Schule zu finden. Zu Hause gibt es oft auch schon lange keine Sheriffs mehr, die Regulativ sein könnten und die die richtigen Grenzen klar definieren. Die von den meisten Eltern eigentlich erträumte offene Schule mit wenig Reglementierung und viel Selbstbestimmung, die für drei Viertel der Schüler/innen auch wunderbar funktioniert, entpuppt sich für so manchen kleinen Helden als echte Lebensfalle. Ich mache übrigens mit allen meinen 5. Klassen solche Arbeitshaltungszeugnisse. Es ist jahraus, jahrein immer eine ähnliche Verteilung. In diesem Jahr haben wir so ein Arbeitshaltungszeugnis sogar einmal für eine ganze Stufe gemacht. a für sehr gute bis e für sehr schlechte Arbeitshaltung. Wenn man dann die Jungs schwarz und die Mädchen weiß ausdruckt und Excel sortieren lässt, sieht man, wo unser männliches Heldenproblem liegt.

Wir brauchen dringend neue Gesamtkonzepte und die Eltern müssen früh dringend mit ins Boot, denn die großen Helden sind ja im schulischen Alltag die heftigsten Bremser für sich und auch für alle Nichthelden.

Übrigens zum Trost für alle jetzt „Oh-wie-schrecklich-ist-das-alles“- Denker. Die prinzipiell klugen, aber schulisch untergegangenen Helden mit dem kleinen Makel, es nicht auf dem direkten Weg geschafft zu haben, diese späteren „richtigen Männer“ der spätzündenden Abteilung, die ihren Eltern in der Heldenvollpubertät so viel Angstschweiß entlockt haben, entwickeln sich trotzdem oft zu späten echten Helden. Entwickeln sich gerade manchmal sogar sensationell wunderbar, wenn das Feinbild Schule den Blick einmal nicht mehr verstellt und dafür irgendwann die zentrale Frage im Raum steht: “Hilfe, ich habe da so ein Leben, das muss ich jetzt ja wohl doch irgendwas draus machen. Denn es ist offensichtlich mein einziges. Und es gehört mir, nur mir. Und dummerweise schenkt mir da wohl doch keiner etwas.“ Und siehe da. Dieser schlichte Blickwinkelveränderungs-Schalter bei spätzündenden Helden ist oftmals eine wunderbare späte Traumerfüllung im Leben von meist männlichen Menschen. Wenn auch auf riesigen Umwegen.

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