Flügelverleih meets Hattie

20. November 2009

Elternpflegschaften

Abgelegt unter: Elternabend — heinz eugen b @ 10:54

Die Klassen 6 bis 10 haben sie jetzt hinter sich. Die Elternpflegschaften. Was mich als Beobachter gefreut hat: Die Gesamtstimmung in der Burg war sehr entspannt. Herr Meyer sagt immer „Burg“, wenn er das ganze Gebäude heizen soll. Gefällt mir als Beschreibung sehr gut. „Welche Räume müssen geheizt werden?“ Wenn es so viele sind wie an den Pflegschaftsabenden, dann „heizt er die ganze Burg“.

Die Eltern müssen ja bei uns laufen, stehen in immer neuen Gruppen zusammen. Erst an so einem Abend merkt man, wie viele verschiedene Lerngruppen eine Klasse hat, wenn es um Sprachen geht und später dann um die Profilfächer. In diesem Jahr musste ich für einige 8. Klassen drei Zwischen-Sonderschienen aufmachen, damit alle Eltern auch alle Sprachlehrer/innen ihrer Kinder besuchen konnten. Ich empfinde diese kleineren Informationsstationen als Betrachter sehr auflockernd. Wo ein Sprachlehrer wegen Krankheit ausfiel, waren die Eltern in diesem Jahr auch gleich so flexibel, ohne Stress an die Bar zu gehen, um ein wenig untereinander zu plaudern. Auch für die fünften Klassen steht sie jetzt an. Die erste Elternpflegschaft, an der man all diese Menschen selbst kennenlernen kann, die die Gespräche beim Mittagstisch durchdringen. Die lieben und die knallharten und die blöden und die tollen und die strengen und die gerechten und die ungerechten und die bevorzugenden und die lockeren und die empfindlichen und die lauten und die leisen und die schicken und die altbackenen und die schlanken und die mit dem Bierbauch und die mit den vielen Haaren und die mit den wenigen und die, bei denen man alles versteht und die, bei denen man fast nichts versteht und die, bei denen man gerne alles versteht und die, bei denen man schon gar nichts verstehen will und die dann ja selbst Schuld sind. Also die, auf die man am Mittagstisch dauernd schimpfen könnte und die anderen, für die man gerne auch mal „und jetzt einen Löffel für die Frau ….“ in den Mund schiebt. Wir Lehrer sind öffentliche Personen. Über einen falsch platzierten Satz von uns finden echte Veranstaltungen statt. Ortsversetzt. Diskussionsrunden. Ich würde gerne einmal solch einen Prozess als Film sehen. Frau Schmitz, wie wär’s. Die Diskussionsrunden finden nach dem Unterricht zuerst einmal zwischen 30 jungen Leuten statt und dann an 30 Mittagstischen, wenn der Satz genügend Potenzial hatte, die Schule zu verlassen. 30 mal eine halbe Stunde Diskussion mit über 100 Diskussionsteilnehmern. Wenn der Satz fulminant war, dann beschäftigt er noch viele Diskussionen. Muss noch Monate später für eine Einschätzung von dieser öffentlichen Person herhalten. „Große“ Sätze bilden feste Grundlagen für Schubladen über uns Lehrer. Und der Satzerzeuger konnte sich vielleicht nie dazu äußern, wie der Satz gemeint war. Weil sich nie jemand getraut hat, dies anzusprechen. Deshalb mag ich die Gruppentische bei Elternpflegschaften. Das geht nicht immer, aber wird am Faust immer öfter gemacht. Weil sich dann viel mehr Eltern in der kleineren Runde mit den Satzproduzenten unterhalten können. Und merken: Da sitzen ganz normale Menschen. Die viel mehr sind als einzelne Sätze, über die man sich aufregt oder über die man sich freut. Gut, wenn man die Lehrer/innen kennt, über die die Tochter spricht und ein eigenes Erwachsenengefühl darüber hat. Also zum Beispiel: „Der ist streng, verlangt viel, gibt nicht so gute Noten, ist manchmal von einer motzenden Klasse genervt, aber hat das Herz am rechten Fleck. Hat ein paar richtig gute Sätze am Tisch zurückgelassen.“ Dann wird die Mittagsrunde bei neuen Erzählungen viel besser. Ich  habe zu viel Elternabende erlebt, auch als Vater, die so abliefen: Vorne sitzen die Lehrer, hinten die Eltern, Lehrer erzählen von der unruhigen Klasse und stellen die Eltern in den Senkel, ein paar „mutige“ Eltern stellen dafür den Lehrer in den Senkel. „Wie der schon aussieht, da versteh ich meine Tochter.“ Sie verstehen schon. Oder. Dieses Einschätzen von Menschen aus der Ferne. Das ist menschlich. Aber für den allgemeinen Lernprozess sehr schlecht. Dabei geht es nicht um uns öffentliche Sätzeproduzenten. Es geht um die Lernenden. Wenn am Mittagstisch ein Sätzeproduzent demontiert wird, dann kann er noch so viele tolle Sätze in den Raum stellen, dann nimmt das junge Gehirn dies nicht mehr so einfach wahr. „Wenn schon meine Mutter sagt, dass der Lehrer blöd sei, dann ist der auch blöd. Punkt. Der kann mir doch nichts beibringen. Der ist doch unfähig.“ Wenn es Probleme gibt, die am Mittagstisch auftauchen, dann muss man als Mutter oder Vater immer eines im Kopf haben: Für jede Situation gibt es verschiedenen Empfindungen. Und dass Lehrerempfinden und Schülerempfinden häufig auseinandergehen, ist ja wohl allen klar. Lehrer haben den typischen Auftrag, Schülern etwas beizubringen. Schüler haben den typischen Auftrag, gute Noten mit heimzubringen. Das sind unterschiedliche Sichtweisen. Eine Szene von einem einzeln erzählenden Sohn am Mittagstisch in Ruhe vorgebracht ergibt ein vollkommen anderes Bild als die gleiche Szene unter dem Aspekt einer unruhigen Klasse in der 6. Stunde. Man müsste den Eltern den Auftrag mitgeben, uns Lehrer als vollkommen unterschiedliche Menschen zu sehen, die einfach unterschiedlich arbeiten und wirken. Und damit auch einen momentan unbeliebten Lehrer als wichtige Personen zu begreifen, an dem man wachsen kann. Man muss gefordert werden, um wachsen zu können. Nur eines sollte nicht sein: Angst sollte nicht im Spiel sein. Und Ungerechtigkeit. Wenn Angst oder Ungerechtigkeit am Mittagstisch ins Spiel kommt, dann sollte man dies mit den Lehrern selbst klären. Sollte es an Gruppentischen an Elternsprechtagen offen ansprechen. Fragend. Nicht vorwerfend. Klärend, nicht aufgebracht. Dann verändert man. Mit zentralen Bloßstellungen vor versammelter Elternschaft hat man nur selbst vielleicht die kurze Genugtuung. Aber man hat dann eine echte Kommunikation verpasst.

Ich wünsche den Fünftklasseltern viele gute Gespräche. Und denken Sie daran, dass es um die Ernsthaftigkeit Ihres Kindes geht, nicht um die Noten. Denn die sind in der fünften Klasse noch nicht wirklich aussagekräftig.

p.s. auf dem Schülerblog gibt es einen neuen podcast. Es lohnt sich, reinzuklicken.

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