Wenn man über 30 Jahre unterrichtet hat, dann gibt es nicht mehr sehr viele Situationen, die einen umhauen. Pädagogisch gesehen. Weil Schulsituationen eben doch nach 30 Jahren zwar immer wieder in neuen Schattierungen, aber eben doch ähnlich auftauchen. Gestern Abend hat es mich doch mal wieder richtig erwischt. Pädagogisches Gänsehautfeeling für einen Altgedienten. Flügelverleih. „Gesamtcoach- und Beurteilungskonferenz“. Oder wie immer man diese großartige Veranstaltung nennen will, bei der sich, wie schon im letzten Jahr, alle Coachs, die sich um eine Klasse kümmern, in Klassenkonferenzen zusammen fanden. Also fast alle. Etwa 50 junge Menschen, die in einer Ernsthaftigkeit, die einem wie mir zwischendrin vor Begeisterung fast die Luft nahm, diskutierten, wie die einzelnen Schüler/innen auf einer Skala ohne Noten von sehr gut bis sehr schlecht sich über die Bereiche Selbstständigkeit, Konzentration, Arbeitshaltung, Ordentlichkeit und Sauberkeit beim Arbeiten, Disziplin, Lautstärke und Respekt den Coachs und Mitschülern gegenüber einzuordnen sind. Rückmeldung für jeden Einzelnen. Und das von Menschen, die mit ihren Profi-Schüleraugen immerhin aus einer ganz anderen Perspektive beobachten können, wie Hausaufgaben gemacht werden, wenn keine Mutter und kein Vater und kein Lehrer die Kontrolle über diesen Prozess hat. Wie sich Schüler/innen verhalten, wenn andere junge Menschen auch noch mit im Raum sind. Wie diese Normalsituation des Unterrichts am Vormittag in der Betreuungszeit am Nachmittag aussieht. Die pädagogischen Coach-Einschätzungen werden wie im letzten Jahr mit unserem Flügelverleihspezialzeugnis an unserer Flügelkinder mit den Halbjahresinformationen ausgegeben.
Falls der eine oder andere Coach das hier mitliest: Tausend Dank. Ihr seid einfach richtig gut!
Und noch ein zweiter Aspekt hat mir das Gänsehautfeeling verschafft. In meinem „Vorruhestandsalter“ knapp 60 sind wir zu zweit im Flügelverleih. Für Nichtinsider muss man wissen, dass ich am Faust mit der Jüngste des „alten Blocks“ bin und der Älteste des „jungen Blocks“ noch keine 40 ist. Zwischen 40 und 60 gibt es an baden-württembergischen Gymnasium wenige Unterrichtende. „Äußerst unglückliche“ Einstellungspraxis, wenn ich das mal sehr harmlos ausdrücken soll. Die sich jetzt leider wiederholen wird. Nach dem Doppelabitursjahrgang, davon darf man ausgehen, werden die Einstellungszahlen wieder massiv in den Keller rauschen. Zurück zum Gänsehautfeeling. Dass unser Flügelverleihkonzept pädagogisch hauptsächlich von der jungen Fraktion unseres Teams entwickelt wurde und gestern professionell umgesetzt, macht uns Alten im Team, die hier ihre jahrzehntelange Erfahrung wunderbar mit einbringen können, sehr zufrieden. Haben wir auf dem Nachhauseweg mit Gänsehautfeeling festgestellt.