Flügelverleih meets Hattie

26. Februar 2010

Der Männerraum

Abgelegt unter: Jungenproblematik — heinz.bayer @ 17:12

Notenentwicklung von Klasse 5 bis 10 in den nichtgrünen Bereichen. Halbjahresinformationen. Nur die Noten ausreichend und mangelhaft. Jungs/Mädchen.Keine Sorge, liebe Eltern

Der Männerraum ist nur so ein erster Anfang, überhaupt einmal den Fokus auf unsere Jungs zu legen. Denn sie befinden sich derzeit in einer schwierigeren Position in der Bildungslandschaft als die Mädchen. Vergleichen Sie die Noten – übrigens weltweit, dann kennen Sie das Problem. Männerraum ist eine erste Idee und Teil eines Förderprogramms. Jungenförderung würde man pädagogisch sagen. Nachdem 30 Jahre Mädchenförderung gute Ergebnisse gebracht hat. Da man weltweit das ähnliche Phänomen hat und noch nirgends ein Licht am Ende des Tunnels erscheint, muss man einfach vor Ort ausprobieren. Ernst nehmen, zuhören, fordern, fördern und wenn manche wilden Jungs von den richtig strengen Lehrern schwärmen, bei denen sie sich Regelüberschreitungen nicht trauen, dann muss man auch das ernst nehmen. Denn die Notenentwicklung ist ernüchternd. Wenn man sich einmal ansieht, wie die Anhäufung von Notenbereichen 4 und 5 im Laufe der Zeit wächst, dann kann man förmlich fühlen, wie die vielen kleinen Wissenslücken sich aufsummieren und in der Mittelstufe dann zum echten Problem werden. Deshalb Jungenförderung mit dem Ziel, dass Jungs und Mädchen vom Flügelverleih vom Trend abweichen und am Ende des Schuljahres etwa notenmäßig gleichziehen. Alle im grünen Bereich, das wäre wunderbar. Denn dauerhaft im grünen Bereich wird Schule zum Erlebnis. Da unsere Nachmittagsmädchen hier schon jetzt ein recht hohes Level vorlegen, steckt noch einige Arbeit für einige  Jungs dahinter. Man darf gespannt sein.

Und darf nicht aufgeben. Kluge Frauen brauchen später auch kluge Männer.

18. Februar 2010

Wie viel Schuld hat man als Lehrer?

Abgelegt unter: Arbeitshaltung — heinz.bayer @ 23:34

Schon wieder ein tödlicher Anschlag auf einen Lehrer. Diesmal in Ludwigshafen. Traurige Entwicklung. Ich denke dabei immer, wie unglaublich in dieser Zeit die Anforderungen an unseren Berufsstand sind. Für so viele junge Menschen sind einfach die Lehrer schuld, wenn die Noten schlecht sind. Scheinbar klare Sache: Die geben diese Noten ja  auch. Zitat: „Der leitende Oberstaatsanwalt Lothar Liebig gab auf einer Pressekonferenz bekannt, dass der aus Ludwigshafen stammende Täter als Motiv nannte, als ehemaliger Schüler wütend auf sein Opfer gewesen zu sein, weil dieser ihm schlechte Zensuren gegeben habe.“ Schlechte Noten – ein Mordmotiv. Schon klar. In dieser extremen Auswirkung ein Einzelfall. Aber es liegt im Trend.

Zum Beispiel das „Das Lehrerhasserbuch“ von Lotte Kühn. Es wurde ein Bestseller. Untertitel: „Eine Mutter rechnet ab.“  - „Ein furioses Buch- der Spiegel“ steht auf dem Umschlag. Auch hier sind einfach mehr oder weniger die Lehrer schuld. Die Kinder werden schlicht als wesentliche Personen ausgeklammert. Nur als Leidtragende geführt. Nicht als wichtige Personen im Lernprozess ernst genommen. Mit dem falschen Verständnis von jungen Menschen in die falsche Richtung geschossen. Und die Leser applaudieren. Beim Lesen war ich oft peinlich berührt, wie plump diese Mutter sich ihren Frust von der Seele schreibt. „Der Stammtisch schreibt heute eben auch Bücher“ könnte man das ja abtun, wenn der Trend nicht so eindeutig wäre. Wer weiß, wie Kinder heute in der Schule sind, schmunzelt bei der Vorstellung, diese Mutter müsste unsere Arbeit machen. Wer solche Anforderungen stellt, darf bitte nie Lehrer werden. Aber das Buch funktioniert. Leider. Und die Leidtragenden sind die Kinder selbst. Weil diese oft viel zu wenig daran glauben lernen, dass sie selbst die wichtigsten Lehrer sind. Wer zu Hause als Vater oder Mutter die grundsätzliche Sichtweise von „da ist doch sicher der Lehrer ist schuld“ einnimmt, der meint wahrscheinlich, er würde den Kindern Stärke geben. Da kann ich aus der Erfahrungssicht eines 30jährigen Praktikers nur sagen: Man stiehlt seinem Kind hier nur die Eigenverantwortung. Und gibt ihm die Schwäche des scheinbaren Opfers.

Wenn man echte Probleme sieht, dann gehen professionelle Eltern direkt in die Schule, klären schwierige Sachverhalte vor Ort und schimpfen nicht zu Hause über Lehrer. Wer dies durchhält, der verbessert die Abitursnote seines Kindes garantiert um einige Zehntel. Egal wie unfähig manche von uns Lehrern in seinen Augen sein mögen.

Die Qualität von Lehrern, Psychologen, Rechtsanwälten, Ärzten, Installateuren oder Journalisten sollten wir an anderer Stelle diskutieren. Den Lehrerberuf glauben eben die meisten Menschen zu kennen, weil sie selbst 10 bis 13 Jahre Schüler waren. Übrigens ein fundamentaler Irrtum. Aber da reden wir jetzt nicht drüber, sonst wird der Blogartikel zu lang.

Liebe Leser und Eltern. Ich würde im Sinne ihrer Kinder lieber auf die Kinder selbst setzen. Das ist eine wesentlich erfolgreichere Strategie, als Lehrer zu hassen.

Ich habe vor einiger Zeit eine für mich persönlich in vielen Situationen sehr wichtige Philosophie einmal auf so einen Schüleralltag umgeschrieben.

Zuerst das Original

Autobiographie in fünf Kapiteln

Ich gehe die Straße entlang

Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig

Ich falle hinein

Ich bin verloren … Ich bin ohne Hoffnung

Es ist nicht meine Schuld

Es dauert endlos, wieder herauszukommen

Ich gehe dieselbe Straße entlang

Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig

Ich tue so, als sähe ich es nicht

Ich falle wieder hinein

Ich kann nicht glauben,  schon wieder am gleichen Ort zu sein

Aber es ist nicht meine Schuld

Immer noch dauert es lange, herauszukommen

Ich gehe dieselbe Straße entlang

Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig

Ich sehe es

Ich falle immer noch hinein… aus Gewohnheit

Meine Augen sind offen

Ich weiß, wo ich bin

Es ist meine eigene Schuld

Ich komme sofort heraus

Ich gehe dieselbe Straße entlang

Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig

Ich gehe darum herum

Ich gehe eine andere Straße

Nyoshul Khenpos   (Buddhistischer Mönch)

Autobiographie eines Schulerfolgs

Ich laufe mein Leben entlang

Da ist plötzlich eine schwere Klassenarbeit auf dem Weg

Ich habe gar nichts davon gewusst

Ich stürze ab – ich weiß fast nichts

Ich bin verloren

vier bis fünf – Ich bin ohne Hoffnung

Aber der Lehrer hat auch so schlecht erklärt.

Wir haben viel zu wenig im Unterricht geübt

Es war wie immer viel zu schwer

Und er motiviert außerdem einfach schlecht

Es dauerte endlos, bis ich das 4 bis 5 Gefühl nicht mehr spüre.

Ich laufe mein Leben entlang

Da kommt eine schwere Klassenarbeit des Wegs auf mich zu

Ich sehe weg, verdränge ihre Existenz

Ich stürze ab, ich weiß fast nichts

Ich bin verloren

Ich kann es nicht glauben – schon wieder 4 bis 5

Aber er hat auch so schlecht erklärt

Wir haben so eine Aufgabe noch nie gemacht

Es war wie immer viel zu schwer

Und er motiviert außerdem einfach schlecht

Immer noch dauert es lange, bis ich das 4-5 Gefühl nicht mehr spüre

Ich laufe mein gleiches Leben entlang

Da ist eine schwere Klassenarbeit auf dem Weg

Ich sollte wirklich einmal lernen

Ich stürze ab – ich weiß nicht viel – aus Gewohnheit

Ich sehe den Grund

Vielleicht hat er schlecht erklärt – aber ich habe ja auch selten zugehört

Es heißt, man müsse Transferaufgaben lösen können

Wir sollten zu Hause üben – aber ich habe wie immer abgeschrieben

Es war schwer, aber man hätte es wohl lösen können

Ich lasse mich offensichtlich wirklich schwer motivieren

Ich sehe klar – ich entdecke ein Ziel

Ich spüre schnell das 4-5 Gefühl nicht mehr

Ich gehe mein Leben entlang

Da ist eine schwere Klassenarbeit auf dem Weg

Ich habe schon Tage vorher gelernt

Ich habe einfach im Unterricht aufgepasst.

Heinz Bayer

13. Februar 2010

Diskussionsfutter für die unterrichtsfreie Woche

Abgelegt unter: Entwicklung — heinz.bayer @ 09:07

Entschuldigung, der Artikel hatte sich versteckt. Da habe ich wohl letzte Woche in Vorfreude auf das Opa-werden beim Artikel hochladen geschlafen. Jetzt bin ich übrigens einer. :-)

Was war eigentlich Thema im Flügelverleih? Eigene Bedürfnisse formulieren und begreifen. Ja, das war das Thema der vorletzten Woche. Grundbedürfniswoche. Die zentrale Idee ist immer folgende: Persönlichkeitsentwicklung ist nicht eindimensional. Dieses tägliche In-die-Schule-gehen, Hausaufgaben machen, Lernen – damit einmal-was-aus-einem-wird ist eingebettet in eine Persönlichkeitsstruktur, die für jede und jeden ganz eigen ist. 17dimensional. Die Entwicklungsspanne, sagen Psychologen, die wir am Ende der Grundschule antreffen, beträgt 4 Jahre. In Worten: Vier Jahre. Nicht das Selbstbewusstsein zu verlieren, weil man im Moment noch nicht die Chance hat, ganz locker mitzuschwimmen, weil die eigene Entwicklungsuhr leider etwas nachgeht, das ist eine echte Aufgabe. Was bei individuellem Lernen und dem Wissen über natürliche Entwicklungsdifferenzen eigentlich prinzipiell kein Problem sein müsste. In den gängigen Schulstrukturen aber schon. Niemand denkt darüber nach, unterschiedliche Noten für 14 Fehler im Diktat zu geben – je nach Persönlichkeitsentwicklungsstand. Geht ja auch praktisch nicht. Wer will schon den Entwicklungsstand so genau ermitteln. In Klassen mit 33 Schülern. Aber man sollte es als Idee mit sich tragen, wenn man sich in der 6. Klasse etwa Sorgen macht, ob sein Sohn, der sich in Mathe ungeheuer mühen muss, um eine Drei zu erreichen, denn später trotzdem einmal Matheprofessor werden könnte. Die Antwort: “Klar doch!” Bis zum Professor ist noch ein riesig weiter Weg. Im Flügelverleih versuchen wir mit unseren verschiedensten Ansätzen, neben den erforderlichen Hausaufgaben über den Tellerrand hinauszublicken, die eigene Entwicklung als wesentlich vielfältiger zu begreifen.

Klasse 5 und 6 sind hier entwicklungspsychologisch für die meisten noch der Grundschule zuzuordnen. Die immer wieder erzählte Aussage, das Gymnasium würde die Freude am Lernen abgewöhnen, lenkt den Blick in die falsche Richtung. Es geht darum, den Kindern früh Laufen beizubringen, sich selbst einschätzen zu lernen. Damit sie als junge Erwachsene, und das sind sie eben schon sehr bald, sicher auf beiden Beinen stehen können. Damit sie mit 14, 15 Jahren, einer Zeit, in der sie biologisch gesehen erwachsen sind, sich trotzdem noch positiv dem Lernprozess unterziehen können. Prof. Ralph Dawirs, Forschungsleiter der Kinder- und Jugendabteilung für psychische Gesundheit am Uniklinikum Erlangen, schreibt in einem Interview: “Eltern sind noch nicht so lange in der Lage, die Pubertät der eigenen Kinder bewusst zu erleben. Während der längsten Zeit der Menschheitsgeschichte war es so, dass diese Phase, in der Kinder Geschlechtsreife erlangen, auch die Zeit des Generationswechsels war. Die Lebenserwartung war beispielsweise bis zum 17./18. Jahrhundert und noch im 19. Jahrhundert viel niedriger als im 20. oder gar im 21. Jahrhundert. In dem Alter, wo die eigenen Kinder in die Pubertät kamen, traten damals die Alten ab, waren gebrechlich, krank und starben häufig bereits mit 30 Jahren…….. Seit 10 Generationen hat sich die Lebenserwartung fast verdreifacht. Die älteren Erwachsenen sind noch lange aktiv. Die Jungen können deshalb ihre Potenziale nicht richtig ausagieren. Das ist dramatisch. Das heißt, die Pubertät entwickelt sich vor dem Hintergrund vitaler Eltern, die dem Nachwuchs nicht Platz machen wollen und können…..“  Interessante Sichtweise. Man sollte sich dies immer mal wieder vergegenwärtigen, wenn man junge Menschen beurteilt. Ernst nehmen, unterstützen, wertschätzen, respektieren. Das sollten ältere Erwachsene mit jungen Erwachsenen tun, deren wichtiges Aufgabenfeld Schule biologisch gesehen gar nicht so stimmig hinein passt. Wenn man dies weiß, kann man leichter unterstützen. Denn bis die Evolution biologisch nachgerüstet hat, sollte man die Zivilisation trotzdem am Laufen halten. :-)

Wenn Ihnen in der unterrichtsfreien Woche der Diskussionsstoff ausgeht, das nachfolgende Bild wäre vielleicht was dafür.

Auf Mausklick wird das Bild groß.

5. Februar 2010

Halbjahresinformationen im Ranzen

Abgelegt unter: Halbjahresinformationen — heinz.bayer @ 15:26

Jetzt wäre es an der Zeit, dass man jedem Schüler einen kleinen Assistenten an die Hand geben sollte, der ihn nach Haus begleitet, damit in den Familien mit den Halbjahreinformationen professionell umgegangen wird. Dazu würde gehören, dass der Assistent, bevor Eltern das Halbjahreszeugnis ansehen, erst einmal die Bedeutung der Halbjahresinformationen erklären. Erklären, dass es Wegweiser sind, keine Noten.

Eine 2/3 eine klare Aufforderung: „Nicht aufgeben, dann steht am Ende des Schuljahres die 2.“

Oder 3+: „Dieses Befriedigend hat einen Hauch von 2. Also bloß nicht aufgeben. Auch nächstes Jahr ist Zeit, vielleicht die Zwei zu erreichen. Aber die Drei gehört natürlich zu den Noten im grünen Bereich. Damit kann man auch bis zum Abitur stressfrei wandeln. Eine Drei gilt es unbedingt zu halten.“

3 – 4 meint : „Komm’ bitte raus aus der Gefahrenzone. Arbeite dich hinein in den grünen Bereich. Bloß nicht meinen, da wäre die Fünf ja noch in weiter Ferne.“ Speziell in den unteren Klassen werden die Noten noch sehr sanft vergeben. Sonst wäre der Schock, den Schüler bekommen, die in der Grundschule Gute-Noten-verwöhnt waren, zu groß. 3-4 in der 5. Klasse heißt deshalb: Aufpassen, nachlegen, genau hinsehen, woher diese Note kommt. Flügelverleihbesucher können auch das Flügelverleihzeugnis zu Rate ziehen, ob man dort Hinweise im Arbeitsverhalten findet. Und dann: Dran arbeiten, nicht den Kopf in den Sand und sich trösten, dass 3 – 4 ja noch weit weg von der 5 ist. 3 – 4 bedeutet in der 5. Klasse einfach schon zuviel Löcher. Grundlagenlöcher. Die man sonst später stopfen muss, um erfolgreich und ohne zuviel Druck arbeiten zu können.

2, 1 – 2,   1   heißt: „Na klar: Einfach freuen. Logisch. Auch wenn Noten niemals den wirklichen Leistungsstand angeben können, weil der nicht messbar ist. Die satt grünen Noten sind Balsam für die Seele und für’s Selbstbewusstsein. Also her damit.“

Der Assistent würde den Notenempfängern samt Eltern auch klar signalisieren: Nicht so prickelnde Noten sind kein Ausdruck von tatsächlichen Leistungsmöglichkeiten. Und niemals Grund, am Wichtigsten zu kratzen, am Selbstwertgefühl. Das ist die größte Schwierigkeit. Dass die Halbjahresinformationen nur als Wegweiser benutzt und bloß nie persönlich genommen werden dürften.

Vielleicht hilft ja genau jetzt ein kleiner Ausflug ins “pädagogische Schweizermesser”. Zwei Seiten pdf, die den Blick auf Noten ein wenig zurechtrücken können, haben wir auf http://www.faust-verleiht-fluegel.de/ zum Download bereitgestellt.

Auf alle Fälle gilt eines: Die eigenen Zeugnisse von damals herausholen und richtig anschauen hilft Eltern oft richtig gut, Noten zu relativieren. Damit der Familienfrieden nicht gefährdet wird. Das sollten Noten nicht schaffen. Hätte man Methoden herausgefunden, wie die Mehrheit von uns Menschen ohne den Druck von Noten bis zum Abitur sich die notwendigen Grundlagen erarbeiten würde, es gäbe sie schon lange nicht mehr. Aber wir brauchen die Noten als Hilfsmittel, um uns der von der Natur nicht angelegte Fähigkeit zu unterziehen, „freiwillig“ 12 Jahre lang zum Lernen von Dingen zu gehen, die wir freiwillig ohne Noten niemals in dieser Ausführlichkeit lernen würden. Und warum: Um unsere hochentwickelte Gesellschaft nicht abstürzen zu lassen. Die jungen Köpfe sind unsere einzige Rückversicherung dafür.

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