Ich hatte Ihnen als Leser/in letzte Woche einen Link von einem ZEIT Artikel eingebaut, der mir immer wieder durch den Kopf ging. Da standen so ein paar Sätze drin, die mir einfach aus dem Praktikerherzen sprachen. Zum Beispiel der:
„Für die Leistung war allein die Eigenmotivation verantwortlich, Kontrolle hatte allein den Effekt, die Schüler neurotischer zu machen.“ So eine Untersuchung der Uni Gent. Ja, für mich ist genau dieser Punkt der alles Entscheidende: Wie groß ist die Eigenmotivation eines Schülers? Wenn sie groß ist, ist alles im Lot. Wenn nicht, muss man daran arbeiten. Wenn es gar nicht geht und die Noten nur notdürftig durch Kontrolle und Nachhilfe erreicht werden können, dann muss man auch ohne Scheu über Realschule nachdenken. Auch der Satz gefiel mir in dem Artikel gut: „Gute Realschüler kommen überallhin. Wenn sie es überhaupt wollen. Was nicht immer der Fall ist. Denn es gibt auch ein menschenwürdiges Leben ohne akademische Ausbildung. Dieser Satz muss hier stehen, weil es Menschen geben soll, die das nicht wissen.“
Und, das wissen auch nicht so viele Eltern: „Wer eine Lehre macht, darf nach drei Jahren im Beruf inzwischen fachgebunden studieren; Leute, die ihren Meister gemacht haben, dürfen seit letztem Sommer sogar alles studieren.“
Ich erzähle mal kurz eine kleine Faust-Geschichte. Vor einigen Jahren hatte bei uns an der Schule ein Schüler, nennen wir ihn P., keinen Bock mehr. 11. Klasse . Total keine Lust mehr auf Lernen. Motor abgestellt. Schneller Abgang. Malerlehre. Gesellenprüfung. Und dann? Wieder auf’s Faust. Die beiden Jahre machte P. mit links, er spielte Theater, gründete eine Band, war Mädchen für alles in der SMV und immer sehr freundlich. Sein Abiturszeugnis mit 1 Komma irgendwas brauchte er nirgends mehr vorlegen, weil er zwei Semester Physik schon als Schüler parallel zur Schule an der Uni Freiburg studiert hatte. Das gibt es für Motivierte. Die Zeit reicht gut, wenn man dafür begabt ist, die Motivation reicht für die meisten nicht.
Für Eltern ist so ein Schul-Ausstieg schwierig. Klar: Im Nachhinein eine schöne Bildungskarriere. Für Eltern in der aktuellen Situation eines nicht motivierten Sohnes (oder einer Tochter) in der Vor– Mittendrin- oder Nach-Pubertät ein für manche kaum auszuhaltendes Spannungsfeld des: „Was wird wohl aus ihm oder ihr?“
Der Artikel beschreibt das Dilemma recht schön:
„Doch ob ein Mensch schließlich arbeitslos wird oder nicht, ob er einen Job findet, der ihn erfüllt, ob er CEO bei Goldman Sachs wird oder sich lieber mehr um die Kinder kümmert, ob er bereit ist, sich weiterzubilden, ins Ausland zu gehen, ob er eine Frau in Timbuktu kennenlernt, wegen seiner besserwisserischen Art überall rausfliegt oder bei jeder Prüfung Mutters metallische Stimme hört; ob sich irgendwann ein Vorgesetzter in ihm wiedererkennt und beschließt, ihn zu fördern, ob ihn seine Ehe in Depressionen stürzt, seinen Job kostet, hängt mit allem Möglichen zusammen – aber nicht mit dem, was in der vierten Klasse passiert. Der Gedanke, dass vieles im Leben vom Zufall abhängt, ist schwer auszuhalten. Lieber glauben Eltern an die magische Kraft eines Übertrittszeugnisses, für das sie folglich alles tun würden.“(Gemeint ist der Kampf um die Gymnasialempfehlung in der 4. Klasse Grundschule)
5. und 6. Klasse nennt man seit langem Orientierungsstufe am Gymnasium, weil man da erfahren kann, ob die Eigenmotivation selbstständig und ohne die große Kontrolle durch die Schule trägt. Man sollte diese Zeit nutzen, um zu erfahren, ob die Orientierung richtig war. Der Tipp eines alten Schulmeisters: Nicht so sehr auf die Noten starren, sondern auf den Biss. Den braucht man auch nach der Schule. Wer ihn hat, hat ihn lebenslang. Wer ihn nicht hat, sollte ihn suchen gehen. Ferien eignen sich gut, über vieles nachzudenken und auf die Suche zu gehen.