Flügelverleih meets Hattie

27. August 2011

Das pädagogische Betriebssystem

Abgelegt unter: Betriebssystem — heinz.bayer @ 19:38

Die Ausgangslage ist jetzt klar, denke ich: Ein handelsübliches staatliches Gymnasium, ein handelsübliches gut ausgebildetes Lehrerkollegium mit Gießkannenprinzip zugeteilt, die pädagogische Grundidee mit einem Menschenbild, dass Kinder als dick eingepackte, aber schon weit ausgereifte Persönlichkeiten begreift, die man menschlich als Kunden zu behandeln hat, wenn man natürlich niemals auf alle Kundenwünsche eingehen darf. Eine nicht ganz einfache Aufgabe.

Fünferhaus

Da kommen also die Kunden an, neugierig und so unterschiedlich, wie es unterschiedlicher nicht sein kann. Da diese neuen Fäustlinge bei uns oft schnell in der Masse der über 1000 Schüler/innen untergingen, haben wir inzwischen eine Stufenpädagogik entwickelt, die dem Übergang gerecht wird. Das Fünferhaus. Danach kommt das Sechserstockwerk und dann der Siebenerflur. Da in der 8. Klasse durch die Profilwahlen ganz neue Klassenzusammensetzungen entstehen, ist das Ziel, bis dahin ein Stufengefühl zu erzeugen, das in Klasse 8 keine großen Klassenklimaprobleme aufkommen lässt.

In solch einer überschaubaren Gruppe von Kunden ist es viel leichter, die Grundmuster eines guten Betriebssystems einzusetzen.

Kunden dürfen nie den Eindruck haben, dass sie nicht ernst genommen werden.

Das Klassenklima muss von Anfang an an erster Position stehen. Störungen müssen Vorrang haben, denn nur mit einem guten Klassenklima ist es möglich, seine Fähigkeiten auch wirklich auszuspielen. Dazu gehören auch klare Vorgaben an die Kunden selbst, wie man sich untereinander verhält. Fair miteinander umzugehen hat viel damit zu tun, wie man sich als Mensch und seinen vielen Facetten ernst nehmen kann. Und damit auch andere leichter ernst nimmt. Mobbing muss Folgen haben und darf nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Jeder muss sich in einer Klasse wohlfühlen. Auch Einzelgänger.

Ein Betriebssystem für alle vereinfacht die Kontrolle darüber. Damit kann auch der einzelne Klassenlehrer der bei der Gesamtverantwortung wesentlich unterstützt werden, wenn er es zulassen und nutzen kann und will.

Das betreuende Betriebssystem

Flügelverleih, Fünferhaus, Lerncoachs, Personalcoachs, Paten, Streitschlichter, Sozialarbeiterin, Beratungslehrerin, Vertrauenslehrerteam, Mediationsteam, Laufbahnberatung und auch alle schüleraktiven Bereiche wie Sport mit Sportmentoren, die Theater AGs, den Chor oder die fausteams muss man zum betreuenden Betriebssystem zählen. Denn sie helfen natürlich zentral mit, dass die Identifikation mit dem Lebensraum Schule besser funktioniert und je besser die Identifikation desto einfacher der Weg zur richtigen Arbeitshaltung. Und dann noch die Spezialbetreuung Versetzungsgefährdeter, die wie seit 4 Jahren durchführen. Samt einer neuen Idee, mit zukünftigen Versetzungsgefährdeten der 5. und 6. Klasse, bei denen man gefühlt annimmt, dass es in der Mittelstufe große Probleme geben wird, gleich zu Beginn individuell zu arbeiten. JUMP & WIN heißt das Programm und wurde im letzten Schuljahr zum ersten Mal getestet. Der Erfolg für den Anfang nicht schlecht. Wird weiter optimiert. Für die Fünftklässler haben wir ein spezielles Hausaufgabenheft entwickelt und für jeden Fünftklässler drucken lassen, in dem sich die wesentlichen Vorstellungen des bisher beschriebenen pädagogischen Grundmusters Woche für Woche neu durchziehen. Für JUMP wurde ein noch enger geführtes Hausaufgabenheft verwendet. Auf www.faust-verleiht-fluegel.de unter der Rubrik Betreuungssysteme als pdf zu finden..

Auf vielfache Nachfrage, ob es das allgemeine Hausaufgabenheft für unsere fünften Klassen auch zu kaufen gäbe, kann man inzwischen sagen: Ja klar. Buchhandel. Hausaufgabenbuch eins. Beim www.vinclair-verlag.de kann man sogar ein wenig reinschmökern. Unter www.vorne-auf-der-welle.de wird es auch schon besprochen.

19. August 2011

Lehrerkollegium

Abgelegt unter: Kollegium — heinz.bayer @ 21:37

Das ist, wie es ist. Und das für das nächste Vierteljahrhundert. Zumindest in Baden-Württemberg. Der Doppeljahrgang ist 2012 überall durch. Einstellungsstopp für die meisten Fächer. Gar nicht mehr so viele Kolleg/innen, die in den nächsten vier Jahren in Pension gehen. Und dann sind die Kollegien erst einmal ziemlich jung. Ein Vierteljahrhundert zwischen den jüngsten Ältesten und den ältesten Jungen. Kaum jemand wurde zwischendurch eingestellt. Und das Spiel wiederholt sich. Wenn man also davon träumt, dass sein Kind, das gerade die Grundschule besucht, auf das örtliche Gymnasium kommt, das dann nach der Phase der Selbst- und Fremdevaluation wunderbar individuell und nach neuesten pädagogischen und didaktischen Erkenntnissen hocheffizient betreut wird, dann wird man uns Lehrern nicht gerecht. Denn wir sind nicht so, wie man uns in seinen Träumen gerne hätten. Weil wir ganz normale Durchschnittsakademiker sind, bei denen es die ganze Bandbreite von pädagogischen Fähigkeiten gibt. Im Durchschnitt viel besser als unser Ruf. Man merkt es nicht, weil das Problem Schule an ganz anderer Stelle klemmt. Die Vorstellung, Lehrer dürfte man nur werden, wenn man Herz und Seele Vollblut Begnadeter ist, bei dem die richtige Pädagogik Teil der Persönlichkeit ist, ist vollkommen blauäugig und naiv. Fragen Sie einmal Juristen nach Ihrer juristischen Herz-und-Seele-Persönlichkeit oder Betriebswirte. Klar wäre es ein schöner Traum, aber in der Realität muss man mit Tatsachen arbeiten. In der Realität gibt es für die allermeisten zukünftigen Gymnasiasten die normalen Regelgymnasien mit einer Lehrerverteilung nach dem Gießkannenprinzip. Wir Lehrer werden einfach nach Bedarf verteilt. Nur in absoluten Ausnahmefällen nach den pädagogischen Vorstellungen der Schule, wie das in der Schweiz der Fall ist. Fakt ist: Unsere Ausbildung gibt uns die fachliche Kompetenz. Genau das sollte man als schlichte reale Grundlage ansetzen und mit einem komfortablen Betriebssystem Schule samt einem möglichst zufriedenen schulaktiven Kollegium gute Arbeit machen. Die jetzigen Lehrerkollegien sind – zumindest in BW – die real existierenden Lehrerkollegien der nächsten 25 Jahre.

Eine Schule sollte neben den notwendigen fachlichen Fähigkeiten auf die speziellen Fähigkeiten der einzelnen Kollegen setzen und ihnen genügend Raum geben, diese auch einzusetzen. Das Prinzip Kaktus auch für Lehrer. Und bitte kein pädagogisches Prinzip einführen, das nicht zum Kollegium passt. Man muss jetzt zumindest dem Gießkannenprinzip Rechnung tragen. Gute Schule baut man mit den Fähigkeiten der existierenden Kolleginnen und Kollegen. Nicht an ihnen vorbei.

Dem Kollegium muss es gut gehen. In einer Zeit, in der man haushaltsmäßig nicht aus dem Vollen schöpfen kann, ein zentraler Ansatz. Man achte auf das Wohlfühlen der einzelnen Kolleginnen und Kollegen, wenn man gute Schule machen will. Mit Kollegen, die sich nicht wohlfühlen, ist kein pädagogischer Blumentopf zu gewinnen.

Für Chefs gilt deshalb: Halten Sie die die Hierarchien so flach wie möglich. Erweitern Sie Ihr Direktionsumfeld so breit wie möglich. In der Schweiz scheint es in diesem Bereich viel weniger schwierig zu sein, Direktionsteams an Schulen zu installieren. Deutsche Schulen könnten sich davon ein dickes Stück Kuchen abschneiden.

Klar. Am Ende trägt immer der Chef die Verantwortung. Deshalb ist das „Zulassen und Vertrauen“ anfangs ja auch so eine schwierige Aufgabe für Direktoren. Weil man beim Prinzip Kaktus die Fäden aus der Hand geben muss.

12. August 2011

Kunden und Menschenbild

Abgelegt unter: Menschenbild — heinz.bayer @ 11:04

Unsere Kunden

Wir sind ein Landgymnasium. Wir haben Kunden, die von den verschiedensten Grundschulen mit den verschiedensten Grundlagen kommen. Und wie bei jeder Schule aus den verschiedensten Familien mit den verschiedensten Vorstellungen von der Bedeutung von Arbeitshaltung. Wenn wir den Grundschulen einen Rat geben dürften, dann würde der heißen: Egal, welche pädagogischen Vorstellungen ihr umsetzt: Achtet auf die Arbeitshaltung. Denn die Arbeitshaltung, das verfolge ich seit 15 Jahren in all meinen 5. Klassen, denen ich als Klassenlehrer Arbeitshaltungszeugnisse von den Fachkolleg/innen ausstellen lasse – die Arbeitshaltung in der 5. und 6. Klasse ist zu 90% der wesentliche Indikator für den Erfolg beim Abitur. Wer in 5 und 6 nicht mit der richtigen Arbeitshaltung in seinem Schülerleben herumläuft, der wird in der pubertären Phase 7 bis 9 auch nicht zu der richtigen Haltung finden und nach 5 Jahren verläpperter Lernzeit reicht ein Durchstarten nicht mehr aus, um wirklich erfolgreich zu sein.

Also geht es genau darum: Wir bekommen junge Kunden mit den unterschiedlichsten Fähigkeiten und Arbeitshaltungen. Unproblematisch sind alle Kunden mit mittelmäßigen bis sehr guten Fähigkeiten samt guter bis sehr guter Arbeitshaltung. Unsere Problemkunden sind die guten bis schwachen Fünftklässler/innen mit schlechter Arbeitshaltung. Fünftklässler/innen mit sehr guten schulischen Fähigkeiten und einer schlechten Arbeitshaltung können erfahrungsgemäß immer am Rande segeln ohne abzustürzen, weil sie immer genügend Kapazitäten übrig haben. Auch um sie muss man sich keine Gedanken machen – wenn man das Erreichen des Abiturs als einziges Ziel ansieht.

Das Ziel des Gymnasiums

Abitur – klar doch.

Aber das reicht natürlich bei Weitem nicht aus. Wenn in manchen Städten inzwischen fast die Hälfte eines Jahrgangs den gymnasialen Weg beschreiten, muss man mehr mitnehmen als nur das Reifezeugnis. Ich bin seit 30 Jahren ein Biographienverfolger. Höre mir unentwegt die Entwicklungsgeschichten an, wenn ich beim Abiball oder  beim OpenAir auf Ehemalige treffe. Und auch da ist es ganz klar: Wer aus der Schule die richtige Arbeitshaltung mit ins Studien- und Berufsleben nimmt, der macht seinen Weg überwiegend problemlos. Wenn ich es in eine kurze Formel packen müsste, was denn das Ziel der gymnasialen Ausbildung sein soll, würde ich 3 Dinge nennen: Selbstbewusstsein, Arbeitshaltung, Abitur.

Oder: Selbstbewusstsein, Arbeitshaltung und rechtzeitig einen anderen schulischen Weg eingeschlagen. Denn Abitur ist eben nicht alles. Schwaches Abitur, verkümmertes Selbstbewusstsein und nie gelernte stimmige Arbeitshaltung sind ein erbärmliches Sprungbrett ins Leben nach der Schule.

Das Menschenbild einer erfolgreichen Schule

Jeder Erwachsene war einmal Schüler. Schüler sind also in erster Linie einmal ganz normale Menschen, die später zu ganz normalen Erwachsenen werden. Wer das Schülerleben mit dem Abitur abschließt, wird in Normalfall beruflich Juristin, Betriebswirt, Ärztin, Mikrosystemelektroniker, Bauingenieurin, Architekt, Professorin, Wissenschaftler, Lehrerin, Informatiker usw usw. Also irgendwie ganz schön viel Persönlichkeit. Gesellschaftlich gesehen. Stellt sich die eine Frage: Wie viel Persönlichkeit von seiner späteren Erwachsenenpersönlichkeit besitzt ein junger Mensch schon in der 5. Klasse? Gute Schule macht sich klar: Fast alles. Nur verpackt. Ganz dick eingepackt und noch nicht mit dem nötigen Wissen und der nötigen Lebenserfahrung ausgestattet. Aber ansonsten: 30 Persönlichkeiten dick verpackt und noch nicht erkennbar, welche Persönlichkeiten da in so einer Klasse sitzen. Wie lange es dauern wird, bis sie zum Vorschein kommen. Bei manchen schon in der Schule, bei anderen erst Jahre später. Aber egal wie wild und verwegen sie verpackt im Unterricht sitzen: „Es sind die zukünftigen Leistungsträger, die man unterrichtet und als Kunden zu behandeln hat. Auch wenn das je nach Verpackung manchmal äußerst schwierig ist. Und dann sollte man noch darauf achten, dass, egal wie dick verpackt, in der Verpackung die Persönlichkeit erhalten bleibt. Und gleichzeitig das persönliche Wissen und die Lebenserfahrung positiv entwickelt werden. Da dies im normalen Schul-Alltag eine Utopie für jeden einzelnen Lehrer und jede einzelne Unterrichtsstunde ist, muss man auf ein Schulbetriebssystem setzen, das die folgenden Überlegungen kontinuierlich vermitteln kann: Nimm die Lehrer mit ihren Ecken und Kanten. Erwarte nicht, dass sie es alle schaffen, dich in einer Ummantelung emotional so zu erreichen, dass du immer gerne lernst und konzentriert aufpasst. Verlasse dich in erster Linie genau auf dich selbst. Du besitzt genügend eigene Persönlichkeit, um die fachliche Kompetenz deiner Lehrer zu nutzen. Genieße die Lehrer, zu denen du den richtigen Draht bekommst, aber verzweifle nicht an denen, die dir nicht so liegen. Es gibt immer ein Gesamtsystem Schule, das dich stützt, berät und deine Qualitäten schätzt. Auch wenn die Noten vielleicht nicht so gut sein sollten.“

Das ist es, was Schule insgesamt vermitteln können sollte. Die Relativität der Noten. Wie viele Fachleute, die früher in der Schule ihrem Fach gar nicht so gut waren. Da die gängigen Schulstrukturen nicht darauf angelegt sind, den einzelnen Schüler individuell fördern zu können, jeden auf seinem aktuellen Wissens- und Leistungsstand und jeden mit seiner eigenen Lerngeschwindigkeit und seiner eigenen Zieldefinition, muss man die Noten prinzipiell relativieren und als Betriebssystem Schule dauernd klar machen: Eine Drei minus in Klasse 9 Mathematik heißt nicht Drei minus als späterer Soziologe oder Verwaltungsfachmann. ( Übrigens: ich schließe bei Schüler natürlich immer Schülerin mit ein, bei Soziologe die Soziologin und beim Verwaltungsfachmann die Verwaltungsfachfrau. Mir ist es im Moment nur zu sperrig, Schüler/in oder Schülerin und Schüler zu schreiben und SchülerIn mag ich nicht.) Ich habe so viele lebenserfolgreiche Biographien erfahren, die „mittelmäßig“ in der Schule begannen, dass ich mich eigentlich wundere, dass das Prinzip der Relativität von Noten nicht schon lange in allen Köpfen ist. Von klein auf. Die Nachrichtensprecherin, die erst spät zu sprechen begann, der Profi-Fußballer, der erst spät zu laufen anfing, der Informatiker, der in Klasse 6 seine großen Probleme mit Zahlen hatte … Sie selbst können sicher auch bei sich genügend Bereiche finden, in denen Sie sich heute kompetent fühlen, in denen Sie in Ihrer Jugend noch kein Land sahen. Oder Ihre Noten so waren, dass Sie damals persönliche Schwachstellen vermuteten. Anstatt die unterschiedliche Entwicklung von uns Menschen in den verschiedensten Bereichen des Lebens als Grundlage mit einzubeziehen.

Nur ein Bruchteil unserer Fähigkeiten wird schulisch erfasst. Deshalb keine Angst vor der Drei minus. Die gehört zum grünen Bereich. Die Grenze Vier sollte man natürlich wenn möglich immer meiden, weil hinter der Vier die Fünf und damit die Versetzungsordnung schnell mal eine Rolle spielen kann. Das Zauberwort für alle, die Klasse fünf und sechs problemlos hinter sich gebracht haben: Arbeitshaltung. In der 5. Klasse haben wir zum Halbjahr Arbeitshaltungszeugnisse für alle erstellt. A wie sehr gut bis e wie sehr schlecht. Fast jede/r Lehrer/in hatte gepunktet. Vierstündige Fächer wurden doppelt gewertet.

Ob schwarz männlich oder weiblich ist, muss ich Ihnen sicher nicht erzählen. Zu diesem grundsätzlichen Problem später eine grundsätzliche Vision.

6. August 2011

Das pädagogische Schweizermesser Teil 2

Abgelegt unter: Das pädagogische Schweizermesser — heinz.bayer @ 05:45

Das pädagogische Schweizermesser I endete 2008 mit Visionen. Visionen, von denen wir in den letzten 3 Jahren erstaunlich viel umsetzen konnten. Wir hatten damals die Zusage als offene Ganztagesschule erhalten, unsere Hausaufgabenbetreuung arbeitete auf der reinen Schülercoach-Basis ohne Lehrer und Eltern-Direktbezahlung ohne Unterstützung von außen. „Schülerschule“ der ursprünglichen Faust’schen Art eben. Eine kleine Vorstufe des heutigen Flügelverleihs. Langfristig wurden vom Kultusministerium vage Deputatsstunden für die Betreuung von Ganztagesschule versprochen. Daran geglaubt hatte keiner. Also zumindest ich nicht. Immerhin war das von uns eine zentrale Forderung seit über 15 Jahren: Deputatsstunden für die Betreuung von Aktivprojekten. „Ein halbes Deputat für eine ganze Sache“ hatte unser damalige Chef die Forderung beschrieben. Reaktionen gab es keine. Vor 4 Jahren noch keine Schulsozialarbeit in Sicht, noch kein Jugendbegleiterprogramm und keine Fördermittel vom Land wie heute. Seit damals hat sich tatsächlich einiges getan. Als hätte man unsere Visionen erhört. Die Idee 2008: die vage versprochenen Deputatsstunden für Lehrer für Schülercoachs finanziell umsetzbar machen. Samt erträumtem Schulzivi. Zivildienst gibt es nicht mehr. Dafür Deputatsstunden für betreuende Lehrer und Geldmittel für Schülercoachs, wenn das pädagogische Konzept stimmt. Dass es am Faust stimmt, dafür haben wir genügend Erfahrungen mit eigenständigen Schülerprojekten und Arbeiten mit Fachleuten der Zukunft gemacht. Damit kennen wir uns aus. Dafür wurden wir immerhin als offizielles EXPO2000 Projekt pädagogisch geadelt. Gut so, diese Entwicklung, sage ich. Ausbaufähig, behaupte ich. Hier noch einmal das vorletzte Kapitel aus dem pädagogischen Schweizermesser I vor drei Jahren. Damit ich danach weiter schreiben kann.

EINIGE AUSZÜGE AUS DEM DAMALIGEN FIKTIVEN ANSATZ:

„In den letzten Jahren gab es am Faust viele Teams, die entstanden und wieder vergingen. Weil die Aktiven, die so ein Team managen, es zur Blüte bringen, erfolgreich werden, dann irgendwann Abitur machen. Oder alles ausgereizt haben. Nun nehmen Sie einmal ein beliebiges Projekt: Sagen wir Schulradio. Wir hatten schon mal ein Schulradioteam. Mit der Möglichkeit von Webradio warten wir zur Zeit eigentlich schon länger auf ein neues Team. Mit einer Bezahlung für ein paar verantwortliche Schüler wie bei den Coachs für die Hausaufgabenbetreuung könnten wir aus dem Stand eine Radiostation aufbauen. Für jeden Schüler, der sich einschreibt. Und das wären garantiert viele. Wir haben die Erfahrung, die Technik, die Leute. Aber es passiert eben nur eigeninitativ, wenn sich ein paar Schüler selbst persönlich etwas von so einem Projekt versprechen. Man gebe uns die Bezahlung, die angedachten Lehrer-Deputatsstunden für betreuende Schüler/innen, dann gäbe es eine stabile Arbeitsmöglichkeit für viele Schüler – mit einer Lehrerdeputatsstunde kann man viele „Schülerdeputate“ bezahlen. Selbst im Studio Produktionen machen ist etwas vollkommen anderes als Studioarbeit für andere Schüler betreuen. Das wäre einfach qualifizierte Dienstleistung anbieten. Auch um eine kontinuierliche Hausaufgabenbetreuung zu bieten, braucht man bezahlte Coachs. Da müssten schon zufällig genügend Schüler an der Schule sein, die später unbedingt Lehrer werden und sich Erfahrung verschaffen wollten, dass so etwas eigeninitiativ und ohne Bezahlung funktionieren könnte. Deshalb: Wir könnten die „Schätze heben“. Mit Schülerdeputaten. So viele exzellente Schülerinnen und Schüler an einer großen Schule. Die Coachs in unserem Hausaufgabenbetreuungs-System haben nur Einsen und Zweien im Zeugnis. Allrounder sagen wir. Man stelle sich vor, das System könnte jeder Schüler ohne Bezahlung nutzen: ¬Unsere Nachmittagsschule wäre voll. Speziell vor Klassenarbeiten. Den Mitgliedern des großen Streitschlichterteams am Faust ist sehr wohl klar, dass sie neben ihrer erstklassigen Arbeit auch viel für sich selbst tun. Beziehungsfähigkeit im weitesten Sinne. Verstehen von Menschen, Verstehen von sich selbst … Eine große Schule besitzt genügend starke Schülerinnen und Schüler, die man in vielen Bereichen wie Kolleginnen und Kollegen betrachten kann. Wenn man einmal die Noten wegnimmt – so man dazu in der Lage ist. Dann hat man plötzlich eine richtig große Menge von Ganztagesbetreuungskolleginnen und -kollegen, mit denen man ganz anders planen kann. 10 Euro für zwei Schulstunden, das ist der Satz für die Coachs und spontanen Nachhilfelehrer, die vom Schülerbüro vermittelt werden. Das Schülerbüro, das ist immer noch die erste Generation. Im Moment Klasse 12. Ob sich so ein aktives Team wieder findet, das steht in den Sternen. Auch hier wäre eine Bezahlung die Lösung. Das Schülerbüro ist eigentlich vom Faust nicht mehr wegzudenken. Könnte in einem „Ganztagesangebotszirkus“ die zentrale Rolle spielen. Vermitteln, organisieren, verwalten … man schaue sich nur einmal die Seiten des SchüBos an (www.schuebo.com) – dann weiß man, an welche Menschen ich denke, wenn ich von Schätze heben spreche. Unser gesamtes System der außerunterichtlichen freien Schülerarbeit war immer frei finanziert. Selbst finanziert. Mit einem großen zusätzlichen Lehrereinsatz, der immer nur ideell bezahlt werden konnte. Wir Lehrerbetreuer gehen auf die 60 zu. Es wäre schön, wir könnten unsere Erfahrung in ein System einbringen, das auch von Kollegen betreut werden kann, die sich nicht „selbstausbeuten“ müssen, um alles am Laufen zu halten. Dann wäre unser Konzept endgültig personen- und schulunabhängig. Wir betreuenden Lehrer haben es natürlich nie wirklich bereut. Sonst hätten wir nicht diesen Einsatz gebracht. Aber für die ganze Entwicklung mussten schon sehr viele Zufälle und Interessen herhalten. Das ist nicht einfach reproduzierbar. Zu sagen, wir machen das jetzt wie die Staufener, das geht schlecht. Deshalb wäre eine stabile Grundlage vom Feinsten: Zum Beispiel mit einem Schulzivi. Ein Nichtlehrer, der die Teams als Erwachsener betreuen könnte. Der zusätzlich zu den bezahlten Coachs aller Bereiche den Überblick und die Kontinuität und die Verbindung zum Kollegium herstellt. Das System Schülerschule verträgt so eine Stelle. Fordert sie eigentlich geradezu. Nun stellen Sie sich vor, Sie könnten an einer Aktivschule wie dem Faust ein komfortables System der Betreuung schaffen, speziell auch in der Unterstützung des Schulischen. Was bisher nur bei der Hausaufgabenbetreuung der Fall ist. Zum Beispiel für alle Austauschschüler eine Anlaufstelle schaffen, an denen sie sich die fehlenden Informationen wieder zurückholen. Ein riesiges Problem für eine austauschaktive Schule wie der unseren. 10 Austauschprogramme haben wir. Die Welt ist am Faust zu Hause. Aber die damit entstehenden Probleme auch. Mit einem Coachsystem wären wir vieler Probleme enthoben. Und die Schule wäre automatisch wieder einer Ganztagsschule näher. Weil der spezielle Nachholunterricht ja auch in der Schule stattfinden würde. Koordiniert vom Schülerbüro. Wenn man einfach einmal vorrechnen dürfte, wieviel eine standardmäßige Ganztagesbetreuung kosten würde, wie sie offiziell angedacht ist und wieviel pulsierende Schülerschule man dafür betreiben könnte, dann käme keiner um unser Konzept herum. Leider habe ich an dieser Stelle die Befürchtung, dass unsere Überlegungen von Schülerdeputaten eher bei unseren Schweizer Nachbarn auf ein offenes Ohr treffen könnten als bei uns „im Ländle.“. Aber ich will die Hoffnung nicht aufgeben. Wenn man seit 20 Jahren erfolgreich eine „Schule in der Schule“ betreibt, gibt man nicht so schnell auf. Bisher haben wir alles ohne äußere Unterstützungssysteme gemacht. Selbst. Mit großem Einsatz. Für eine kleine Schar von Hochaktiven. Für eine lebendige Schule, von der alle etwas haben. Wenn jetzt Unterstützung in Reichweite ist, dann könnte man das System sehr wohl auch für viel, viel mehr Jugendliche zugänglich machen. Damit Schule noch mehr zum Lebensraum für viele wird. Damit Schüler sich noch mehr identifizieren können. Damit die an einem Gymnasium zuhauf vorhandenen wertvollen Wissensressourcen nicht einfach brachliegen, sondern effektiv eingesetzt werden könnten. Doch das braucht Stabilität der Teams. Das geht nicht mehr mit unserer völligen Eigenständigkeit der Entwicklung. Ohne „Lehrerdeputate für Teamchefs“ wie bei den Nachmittagsschulencoachs ist das nicht zu machen. Es wäre sehr reizvoll, zu zeigen, zu was unser pädagogisches Weltbild in der Lage wäre. … Was uns bei Unterstützung vorschwebt, ist auch die Möglichkeit, von der einstündigen Mittagspause 30 Minuten schulischen Unterstützungs-Angeboten anzubieten. Raum 301 Wurzelrechnen, Raum 302 Integrieren leicht gemacht … Schüler für Schüler. Warum nicht. Schätze heben sage ich nur. An so einer Schule liegt so viel nutzbares Wissen brach. Oder Buchungsangebote: Ein Teil einer Klasse bucht sich einen Coach zum Thema „Planetarisches Wind¬system“, weil in zwei Tagen in Geographie eine Arbeit ansteht. Ich will die Möglichkeiten hier nur anreißen. Will einfach nur zeigen: Schülerschule ist extrem entwicklungsfähig, wenn es reguläre finanzielle Unterstützungssysteme gäbe. Von Eltern bezahlte haben eine viel kleinere Wirkung. Fazit: Wir könnten mit dem gleichen Kostenaufwand eine wesentlich effektivere Ganztagesbetreuung gestalten wie mit den offiziell angedachten Konzepten.

Der aktuelle Stand: Inzwischen haben wir eine gut funktionierende Nachmittagsschule, genannt Flügelverleih, samt Sozialarbeiterin. Samt Deputatsstunden für betreuende Lehrer/innen, weil wir so viele Kinder betreuen. Fast 100 sind seit 3 Jahren immer angemeldet. Hauptsächlich 5. und 6. Klasse. Ankommen am Faust, heißt das Prinzip. Nicht aus der Schule flüchten. Schule als Lebensraum schätzen lernen. Ernst genommen werden. Inzwischen haben wir für gefährdete Schüler/innen zusätzliche Betreuungsprogramme aufgelegt, die funktionieren. Und wir verfügen über ein Kollegium, das dieses spezielle Betriebssystem, das immerhin auch starken Einfluss auf das „kleine Königreich des einzelnen Lehrers“ hat, positiv annehmen kann. Aus der aktuellen Situation baue ich jetzt für Sie eine praktikable moderne Schule, die aus vielen Bestandteilen Faust und einer kleinen Portion Fiktion besteht, die aber umsetzbar und auch finanzierbar wäre, wenn man dies wollte.

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