Flügelverleih meets Hattie

14. April 2013

Badische Zeitung

Abgelegt unter: Flügelverleih, Fünferhaus, Gymnasialempfehlung, Pädagogisches — heinz.bayer @ 07:27

Ich habe versprochen, in diesem Blog eine Ergänzung zu einem BZ Artikel zum Thema “Akademie zum platzenden Knoten” innerhalb unseres Projekts “den Bahnhof verstehen” zu schreiben. Für die konkreten Projektinhalte verweise ich gleich einmal auf die Ausführungen in unserem  Betreuungs-Blog. www.maennerrevolte.de. Denn dort sind auch alle Betreuungsprojekte der letzten Jahre zu finden, falls man lange genug sucht. :-) Sorry, für alle Neuleser/innen. Ich bin ein pädagogischer Drauflosschreiber.  Da am Gymnasium mehr Jungs als Mädchen leistungsmäßig betreut werden müssen, heißt der Blog so.

Die pädagogische Vorgeschichte und die Grundlagen, um die Akademie zum Platzenden Knoten zu verstehen, beschreibe ich hier im Flügelverleih-Blog, der  ursprünglich ein reiner Eltern-Blog für Flügelverleiheltern war, die sich wünschten, dass sie erfahren, wie wir Flügelverleiher pädagogisch ticken und was wir so alles am Nachmittag mit den Kindern unternehmen. Da es offensichtlich viel mehr Menschen gibt, die gerne von bunt praktizierter Ganztagesschule lesen, ist es ein Blog geworden, der den Lebensraum Schule aus der Sicht von einem großen Betreuungsteam der besonderen Art beschreibt, das eng vernetzt ist mit der komplexen Gedankenwelt des Faust.

Der Schreiber selbst, also ich, Fachabteilungsleiter für Schulentwicklung und totaler Flügelverleih-Fan und seit Jahrzehnten vernarrt in unsere vielfältigen pädagogischen Konzepte, mit aktiven Schüler/innen am Faust wundervolle Projekte loszutreten und Arbeitsgemeinschaften zu fördern, weil sie Schule als Lebensraum aufbauen helfen, habe in diesem ganzen Zusammenhang auch entdeckt, wie gerne ich einfach drauflosschreibe, was uns im Team am Herzen liegt. Weil es auch innerhalb eines meiner Aufgabenfelder als Fachabteilungsleiter sehr viel vereinfacht – bei der Kommunikation mit unseren Eltern. Man muss Schule heute gut erklären, weil sie sonst oft nicht mehr verstanden werden kann.

Zum Beispiel finde ich es immer noch vollkommen unwirklich, dass wir unter Rot-Grün offensichtlich unseren Chor, unser Theater und unser Orchester verlieren sollen. Ich glaube irgendwie immer noch dran, dass unser Kultursminister demnächst laut auflacht und meint: “April, April. Mit uns streicht man doch keine musischen Arbeitsgemeinschaften. Wir sind doch angetreten, um Schule besser zu machen.”

Das alles den Eltern vermitteln kann ich leider nicht in Kurzform. Wenn ich schreibe, schreibe ich. Sorry. Und drauflos. Das hat mein Deutschlehrer früher schon bemängelt. Und meine “Unds” am Satzanfang.

Ok. Ich beginne mal.

Der Pavillon.

Schulkenner wissen, dass wir unsere fünften Klassen in einem eigenen Pavillon mit fünf Klassenzimmern unterrichten – genannt Fünferhaus. Unsere Neuen kommen zum Teil von sehr kleinen Grundschulen und waren in früheren Zeiten in der fünften Klasse von einer weit über tausend Schüler/innen-Schule oft wie erschlagen. Unser Fünferhaus ist klein und überschaubar und mit einer Stufenpädagogik ausgestattet, die das Ankommen am Faust erleichtert. Am Nachmittag findet im selben Gebäude der Flügelverleih statt. Eine Mischung von Hausaufgabenbetreuung und sozialem Lebensraum Schule. 50 bis 70 Coachs aus den Klassen 9 aufwärts arbeiten dort. Immer zwei pro Klassenraum. Betreut und angeleitet von einem Sozialarbeiter und betreuenden Lehrer/innen. Eine kleine eigene Schule in der Schule. Netzwerkbildend in vielfältiger Hinsicht. Keine Verpflichtung hinzugehen und doch seit Jahren voller Leben. Schon jetzt haben sich wieder 60% der nächsten Fünfergeneration angemeldet.

Goethe

“Zwei Dinge sollen Kinder bekommen: Wurzeln und Flügel.” schrieb schon J.W. Goethe. Im “Flügel”, wie viele Coachs unser Nachmittagsschule nennen, versuchen wir mit einem jungen und sehr kompetenten Kollegium aus späteren Sozialarbeiter/innen, Lehrer/innen, Personalchef/innen, Betriebswirt/innen etc , dem Lernen bei der Hausaufgabenbetreuung Flügel zu verleihen und die notwendigen Wurzeln versuchen wir durch Identifikation mit der Schule über die durch diese Anfangsarbeit entstehenden personellen Netzwerke innerhalb der Jahrgänge und natürlich auch jahrgangsübergreifend wachsen zu lassen. “Stufenfeeling” ist bei uns eine wichtige Diskussions-Grundlage in der Stufenpädagogik von Klasse 5 bis 7. In Klasse 8 muss es möglichst wenig Reibungsverluste bei der Neuzusammensetzung von Klassen geben. Immerhin weiß man, dass eine angenehme Lernumgebung das A und O in Sachen erfolgreiches Lernen ist. Und Klasse 8 ist Vollpubertät. Das war früher mit hohem Pädagogischem Einsatz in Sachen Mobbing verbunden. Heute ist die Neuverteilung kein besonderes Konfliktfeld mehr, weil es in Klasse 7 schon ein Stufenfeeling gibt. Fünferhaus, Sechserstockwerk, Siebenerflur …. so versuchen wir, dieser Grundidee gerecht zu werden. Und zu Beginn: Flügel verleihen.

Grundschulempfehlung

Ob wir den Wegfall der Grundschulempfehlung denn merken, werden wir in letzten Zeit oft gefragt. Denn alle Flügelverleihlehrer/innen sind auch meist parallel in der fünften Klassen tätig, um möglichst viel Gespür für einen Jahrgang zu entwickeln. Jeder Jahrgang ist anders, so ist unsere Erfahrung. Und somit die Betreuung für jeden neuen Jahrgang eine Neuentwicklung. In diesem Jahrgang müssen wir unsere frühere Personalcoachidee, wieder aufleben lassen. Der wegfallenden Grundschulempfehlung sei Dank. Wenn nun einzelne Kinder mit schlechter Werkrealschulempfehlung bei uns angemeldet sind und einfach nirgendwo Land sehen, furchtbare Noten schon in der 5. Klasse ertragen müssen und häufig auf der Krankenstation liegen oder zu Arbeiten schon gar nicht antreten können, dann benötigt man neue Konzepte für den richtigen Umgang mit der neuen Situation. Die positive Statistik in Sachen Chancengleichheit vor Ort ausbügeln, dass die Kinder keinen Knacks für’s Leben bekommen. Ich gehe so weit, zu behaupten, dass im Moment manche Kinder gerade deshalb kein Abitur machen werden, weil ihre Eltern sie entgegen der Empfehlung der Grundschullehrer/innen auf’s Gymnasium geschickt haben. Über 50% machen heute übrigens ihr Abitur nicht am allgemeinbildenden Gymnasium. Aber das nur am Rande. Mit unserer pädagogischen “Unterstufen-Denkfabrik Flügelverleih” können wir zumindest neue Ideen entwerfen, wie wir am sinnvollsten damit umgehen lernen, einen Betreuungs-Spagat auch ohne zu viele Einbußen für die Leistungsstarken durchzuführen.

Möglichkeiten

“Ja man liest doch jetzt immer mehr von diesem individualisierten Unterricht, der auch den Klugen klüger macht. Damit geht das doch ganz einfach,” denken sich viele.

Da bricht ein knappes “Hahaha” aus jemand heraus, der seit 35 Jahren an der Schulentwicklungsbasis eines großen Landgymnasiums arbeitet. Ich denke, dass ich hier auch wirklich einmal zumindest kurz und auch laut lachen darf. Unsere Meinung: Mit dem Wegfall der Grundschulempfehlung wirft man uns ins kalte Wasser der wundervollen Vorstellung vom nachhaltigen Lernen von Kindern als “Baumeister ihrer Selbst”, wie Maria Montessori es beschrieb, kombiniert mit dem Lehrer als Coach, der meist nur Hilfestellung beim selbstständigen Lernen gibt und Kinder deshalb zauberhaft im eigenen Lerntempo lernen lässt. Da träumt man leider an der gymnasialen Realität vorbei. An den Werkrealschulen hat man in diese Richtung schon richtig viel auf den Weg gebracht. Aber diese Schulform bringt man ja gerade mit dem Wegfall der Empfehlung zum Austrocknen, weil jetzt noch weniger Schüler/innen angemeldet werden.

Der Philosoph

Der Philosoph Richard David Precht formuliert in seinem neuen Buch “Anna, die Schule und der liebe Gott” 10 überzeugende Prinzipien für eine Bildungsreform: 1. Kinder wollen lernen 2. Jedes Kind ist anders 3. Vergesst die Fächer 4. Bildet Lernteams 5. Vertieft Beziehungen 6. Fördert Werte 7. Verschönert Lernorte 8. Trainiert die Konzentration 9. Schafft die Noten ab 10. Lasst ganztägig lernen.

Ja es ist, als wäre Herr Precht auf einem unserer Flügelverleihsitzungen dabei gewesen. Für eine kleine überschaubare Entwicklungs-Ecke an einer Schule, ausgestattet mit Deputatsstunden, speziell auch zum kontinuierlichen Neu-Entwickeln und Visionen wälzen, sind solche Überlegungen tatsächlich greifbar. Aber der Flügelverleih ist wie eine kleine Privatschule in der Schule, die ohne Noten auskommt und ein Coach-zu-Schülerverhältnis von 1:5 hat. Mit unserer neu gegründeten “Akademie zum Platzenden Knoten” innerhalb des Flügelverleihprojekts “Den Bahnhof verstehen” versuchen wir sehr gezielt, individuelles Lernen auf konkrete Beine zu stellen. Aber lieber Herr Kultusminister: Wir schütteln das nicht aus dem Ärmel. Da müssen wir viel dafür tun. Und für eine ganze Schule ist das echte große Entwicklungsarbeit.

Kaltes Wasser

Zu meinen, eine ganze Schule könne man schnell zu traumhaften neuen individualisierenden Lern-Formen bringen, indem man sie mit dem Wegfall der verpflichtenden Grundschulempfehlung komplett ins kalte Wasser wirft und meint, dass jetzt bitteschön alles gut und außerdem ja jetzt die Chancengleichheit schlagartig gewachsen sei und dass man dabei gleichzeitig noch die Haushaltskonsolidierung im Auge haben darf und alles, was Zusatzangebot heißt, doch bitte gerne streichen würde, also natürlich auch Deputatsstunden für die Hausaufgabenbetreuung (Weil sie doch inzwischen an vielen Schulen eingerichtet ist und dann offensichtlich von selbst läuft), der läuft stark Gefahr, einen pädagogischen Bumerang ins Leben zu rufen, dessen erzeugte Schäden später sehr viel Geld kosten werden. Wenn ich denke, wie vielen Schüler/innen wir mit unseren Betreuungsprogrammen helfen, nicht sitzenzubleiben, dann würde ich einfach behaupten: Nehmen Sie unsere spezielle Betreuungs-Zusatzarbeit weg, dann kosten die Sitzenbleiber den Steuerzahler garantiert mehr als unsere Betreuungsdeputatsstunden. Da wette ich drum. Und wenn gute Schulkultur kaputtgespart wird, kann man sie auch nicht ein paar Jahre später einfach wieder aus der Schublade holen. Warum kommt eigentlich nicht endlich mal jemand auf die Idee, das Kultusministerium parteienübergreifend zu besetzen, damit wir aus diesem ewigen Legislaturperioden-Auf-und-Ab herauskommen könnten.

Der pädagogische Kamm

Sie merken, dass mir hier als altem Schulentwicklungsurgestein kurz vor der Pensionierung der pädagogische Kamm schwillt. Ich habe viele Bildungsreformen erlebt, ab noch nie solche, bei denen ich gedacht habe: Richtig gute Ideen, die man in Ruhe weiter verfolgen sollte, behutsam vor Ort weiterentwickeln, schöne Visionen, wenn man sich darauf vorbereiten könnte, aber gleichzeitig drehen sie den Hahnen zu, dass es leider wieder nur Stückwerk bleibt. Statt dass ein Meisterstück draus wird. Frust pur. Hilfe, was für Chancen werden hier nur verspielt. Den Flügelverleih mit all seinen prallen, bunten, zukunftsträchtigen Facetten könnte schon im nächsten Jahr mit diesen kleinen Einsparungen austrocknen. Dabei arbeiten wir möglicherweise genau nach den Vorstellungen, von denen so manche hochrangigen Bildungsplaner im Moment träumen. Aktuell hat man bei der Organisation von Schule vor Ort ein mulmiges Gefühl. Da ist ein Fisch, der heißt Pflichtunterricht. Und dann kommt jemand auf die Idee, dass das Wasser eigentlich eingespart werden könnte. Oder wie bei einem Künstler, der ein wunderbares buntes Bild in die Welt gesetzt hat und jetzt erfährt, dass er es nur in Graustufen ausstellen darf. Ach wissen Sie was. Ich höre für heute auf. Kommen Sie doch einfach später mal wieder vorbei. Und drücken Sie uns die Daumen, dass Sie nicht beim Untergang des Flügelverleihs zuschauen müssen.

Gemalt

Ich könnte zum Schluss ja vielleicht noch unsere Vorstellungen von Schullaufbahn aufmalen. Schafft die Noten ab, meint Precht. Wir meinen: Nehmt die Noten in einem gewissen Rahmen nicht so wichtig. Es kommt darauf an, was am Ende steht.

Mit dem Wegfall der Grundschulempfehlung fördert man die Möglichkeit, dass Eltern nur wegen dem Satz: “Aber mein Kind geht auf’s Gymnasium” die falsche Entscheidung treffen. So ein Fehlstart ist ein Selbstbewusstseinskiller.

Wir müssen dieses Problem jetzt trotzdem lösen, sonst lassen wir diese armen Chancengleichheitkinder auch noch im Stich. Die Politik schmückt sich mit ihnen und sie selbst leiden leise. Oder lautstark. Klar, jetzt muss eben die “Beratung” in der fünften Klasse nachgeholt werden. Die heißt nun leider auch Fünfen und gar Sechsen im Zeugnis. Dabei müsste man einfach mal klar machen, dass Gymnasium allein inzwischen kein Vorteil mehr ist, wenn 62% eines Jahrgangs wie in Freiburg, Gymnasiasten werden. Für viele gäbe es erfolgreichere Wege zum Abitur. Aber da steht noch eine langwierige Überzeugungsarbeit ins Haus unserer Gesellschaft.

Ja ist gut, ich höre ja auf. :-)

9. Juli 2011

Ankommen am Gymnasium

Abgelegt unter: Fünferhaus — heinz.bayer @ 19:13

Ich muss zwischendurch noch einmal betonen, dass ich hier keine Fantasieschule entwerfe, sondern das Faust-Gymnasium einfach ein wenig weiter träume. Also unser real existierendes normales Landgymnasium in Staufen mit jetzt schon vielen gut ausgereiften Ansätzen, mit einigen zusätzlichen Möglichkeiten gedanklich ausstatte, um einen noch effektiverer Lern- und Lebensraum zu erzeugen.

Die Kapitel der nächsten Wochen:

- Fünferhausidee und Flügelverleih

- Hausaufgabenhefte und Betreuungssysteme

- G8/G9 – die Splitting-Idee

- Teams, Coachs, Aktivitäten

- Betriebssysteme einer funktionierenden Schule

Fünferhausidee und Flügelverleih

Ich gestehe, Klasse fünf, da bin ich eigentlich schon richtig zufrieden, wie wir das inzwischen machen. Zur Nachahmung freigegeben. Ankommen am Faust. Ein eigener Pavillon mit 5 Klassenräumen. Klar, Geld war keines da, weil an einer anderen Stelle umgebaut wird. Deshalb haben wir einfach kreativ selbst finanziert. Farbe auf die alten Tischplatten gepinselt und die verdreckten Wände angemalt. Außerdem Spinde im Klassenraum für jedes Kind über die Eltern kreativfinanziert. Mit ein paar gebrauchten Schränken im Vorraum eine gute Atmosphäre erzeugt. Wenn man von den alten Toiletten und dem kaputten Teppichboden einmal absieht, ein Lernhaus mit viel Charme der ganz besonderen Art.

„Und die Unterrichtssituation? Ob ich mir nicht neue Unterrichtsformen zusammenträumen will?“ fragen Sie. „Mit lauter Wahnsinnspädagogen, die das auch so umsetzten können, dass es nur noch begeisterte Kinder gibt, die gerne lernen?“ Na ja, davon träumen Eltern natürlich. Ich bin lieber Realist, der die existierende schulische Situation jetzt verbessern will. An den Schulen hat sich so viel getan, auch an den ganz normalen Schulen, nur ist das den Wenigsten bewusst.

Aber es gibt etwas, über das das Kulturministerium ungern spricht.

In Baden-Württemberg hat in diesem Jahr der erste Schwung G8er zusammen mit den letzten G9ern Abitur gemacht. Zum Beispiel am Faust. Im nächsten Jahr wird es viele Doppeljahrgänge geben und dann gibt es nur noch das achtjährige Gymnasium. Dann können Sie die real existierende Lehrerschaft der nächsten 20 Jahre an den Schulen sehen. Diese Lehrer/innen werden gemeinsam altern und es werden fast keine Neuen mehr eingestellt. Das ist die bittere Wahrheit der verqueren Einstellungspolitik in BW. Stellen Sie sich einmal einen Betrieb vor, der es sich leistet, nur jedes Vierteljahrhundert einzustellen. Und dann im Pulk, weil die Altern gehen. Und dann auch noch von einer zentralen Verteilungsstelle aus. Denn Lehrer/innen werden nicht von der Schule aus eingestellt, wie das z.B. in der Schweiz der Fall ist. Schulscharfe Ausschreibungen für ein paar wenige Stellen, das war ein Zauberwort, das man an den Schulen in den letzten paar Jahren ab und zu hörte und sich freute, wenn man schulscharf ausschreiben durfte. Jetzt aber heißt es einfach: Träume dir eine Schule mit genau den Lehrer/innen, die jetzt da sind. Verbessere unter haushaltsmäßig schwierigen Bedingungen und den einfach fehlenden naturwissenschaftlichen Lehrer/innen trotzdem den Lebensraum Schule. Für unsere Kinder, aber auch für unsere hochtechnisierte und noch wohlhabende Gesellschaft, die in zehn oder zwanzig Jahren eben auch noch sehr gute Ingenieure, Ärztinnen, Informatiker, Juristinnen, Sozialarbeiter, Chemikerinnen, etc braucht, um im globalen Wettkampf zu bestehen.

Nachstehend nun nähere Informationen aus unserem Infoblatt zum Schuljahresanfang. Wir hatten uns die Sache so vorgestellt und wir sind alle nach einem Schuljahr sehr zufrieden mit dem Konzept. Die Stufenpädagogik am Faust wird in den nächsten zwei Jahren weitergehen, weil wir mit den guten Erfahrungen des Fünferhauses nun die Klassenräume der 6. und 7. Klasse in abgeschlossenen Bereichen wählen werden.

Aus dem Infoblatt:

Die pädagogische Idee des Fünferhauses

Die neuen Fäustlinge kommen von vielen verschiedenen Grundschulen des großen Einzugsgebietes mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen und schulischen Verhaltensweisen.

Die Spanne zwischen den junge lauten Wilden und den kleinen stillen Schüchternen wird immer größer.

Im Haupthaus gehen die Fünfer schnell in der Gesamtmasse Schüler unter. In einem eigenen Haus kann eine neue Übergangsdidaktik entwickelt werden, die eine neue Ernsthaftigkeit gleich zu Beginn des gymnasialen Lebenswegs für alle Fäustlinge erzeugen soll. In Kombination mit der Nachmittagsschule ist der Pavillon mit seinen 5 Räumen und dem eigenen Lehrerzimmer prädestiniert für diese Form von Pädagogik.

Das Fünferhaus soll überschaubarer Lebensraum Schule sein, in dem einheitliche Grundlagen für eine erfolgreiche Schullaufbahn gelegt und das soziale Gefüge der ganzen Stufe entwickelt werden kann.

Das Fünferhaus wird mit klaren Vorgaben arbeiten und Wert auf Einhalten von Grenzen legen. Das Fünferhaus sieht sich in der Pflicht, Erziehung zu einem einheitlichen positiven schulischen Verhalten auf den Lehrplan zu setzen, um die unterschiedliche familiären Vorstellungen auf ein schulisch einheitliches Niveau zu bringen und Eigenständigkeit und Selbstverantwortung zu normalen Begleitern des Schulalltags werden zu lassen.

Das Fünferhaus ist ein Haus der Stille.

Wir wissen, dass sich dies in der heutigen Zeit ungewöhnlich anhört. Wir sind der Meinung, dass Schülerinnen und Schüler durch ein liebevolles, aber auch strenges Regelwerk lernen können, dass Brüllen und Toben keine Notwendigkeiten des menschlichen Daseins sind. Dass Brüllen und Toben im Gegenteil dem positiven und selbstaktiven Lernen entgegenstehen. Wir glauben mit einer einheitlichen Pädagogik einen Gegenpol zum Mainstream setzen zu können.

Das Fünferhaus ist ein Haus der Sauberkeit und der Ordnung.

Wenn alle Fünftklässler/innen darauf ihr Augenmerk richten, ist dies kein Problem. Das  Erscheinungsbild einer Lernumgebung ist für das Lernen von großer Bedeutung.

Das Fünferhaus ist ein Haus des Lernens.

Wir sind der Meinung, dass es keine Überforderung darstellt, wenn Fünftklässler sich von Anfang an an konsequentes gymnasiales Arbeiten gewöhnen. Im Gegenteil. Die fünfte Klasse ist der richtige Zeitpunkt, die richtige und strukturierte Arbeitshaltung zu erlernen.

Das Fünferhaus ist ein Haus des Konflikte lösens

Wir arbeiten seit Jahren in den fünften Klassen verstärkt mit einem gut ausgebildeten Streitschlichterteam, dem im Fünferhaus eine besondere Rolle zukommt. Der Schulgarten ist Teil der Fünferhauspädagogik.

Flügelverleih – die Nachmittagsschule am Faust.

Wir besitzen 2 Jahre offene Ganztagesschul-Erfahrung. Wir bieten jeden Nachmittag Betreuung bei den Hausaufgaben durch Lerncoachs aus höheren Klassen. Neben dem hausaufgabenbereinigten, stressfreieren Familienleben sehen wir in der Nachmittagsschule den Vorteil, dass unsere betreuten Schülerinnen und Schüler Schule als Ganzheit und Lebensraum besser begreifen können, soziale Kontakte in einem behüteten und pädagogisch bunten Umfeld als Netzwerk erfahren und durch die älteren Coachs eine stärkere Einbindung in die gesamte Schule entwickeln. Die Nachmittagsschule wird von erfahrenen Pädagogen betreut. Weitere Vorteil für die Nachmittagsschüler: Unsere schuleigene Sozialpädagogin, die für viele Betreuungen und pädagogischen Projekte verantwortlich zeichnet, ist täglich vor Ort und ist damit für die Schülerinnen und Schüler eine konstante persönliche Größe. Die betreuenden Lehrer arbeiten eng mit den Fachlehrern zusammen. Nachmittagsschule und Fünferhaus bilden somit eine pädagogische Einheit.

Das Fünferhaus ist ein offenes Haus.

Wenn die Schüler/innen früh von den Bussen kommen, werden wir versuchen, schon vor Ort zu sein, damit das übliche lange Warten mancher Weitgereister in der Aula für die Fünfer durch ruhiges Ankommen im geöffneten und schon beaufsichtigten Fünferhaus ersetzt werden kann.

Das Fünferhaus ist ein selbstgestaltetes Haus.

Um den Charakter des Lebensraums Schule zu verstärken, werden wir die Gestaltung der Räumlichkeiten stark in die Hand der Neuen legen. Zu Beginn des Schuljahrs findet z.B. ein gemeinsamer Tisch- Lackier-Nachmittag statt, der den Räumen die eigene Note geben wird.

Das Fünferhaus ist ein Haus der Diskussion

Durch die gemeinsamen Räumlichkeiten werden wir klassenübergreifende Projekte ausprobieren und Dinge wie Wochenanfang und Tagesanfang gemeinsam entwickeln.

Das Fünferhaus ist ein Haus des pädagogischen Experimentierens

21. Mai 2011

Spinde in den Klassenzimmern oder „Spind er jetzt?“

Abgelegt unter: Fünferhaus — heinz.bayer @ 09:00

An Hand unserer Spinde im Fünferhaus kann man die Philosophie des freien Unternehmertums in der Faust-Pädagogik gut erklären.

Da hatten wir ja einfach die Idee, in unserem in die Jahre gekommenen Pavillon mit den fünf Klassenzimmern, in dem wir schon zwei Jahre lang unseren Flügelverleih abgehalten haben, die neuen Fünftklässler unterzubringen.

„Aber bei den Tischen und den Wänden eigentlich undenkbar“, sagten wir – „wenn man nicht selbst Hand anlegt. Farbe ins Spiel bringt.“ Aber Farbe kostet. Und die Idee, dass jede Schülerin und jeder Schüler den eigenen Spind im Klassenzimmer hat, kostet noch mehr. Und sich finanziell selbst ins Spiel zu bringen, ist eigentlich im System nicht vorgesehen.

Die normalen Rituale, wann, wo, wie renoviert wird, sind klar nach Zeiträumen eingeteilt. Über die Abfolge: Diskussionen, Schwerpunktsetzung, Abstimmen, Antrag stellen, Warten, irgendwann offizielle Zustimmung, wieder Warten. Und in einigen Jahren dann die Umsetzungsphase. Vielleicht ist dann die Hälfte der Leute, die am Anfang Feuer und Flamme waren, pensioniert und die andere Hälfte nicht mehr Feuer und Flamme.

Unsere eigene Umsetzungsidee in Sachen Fünferhaus sah vollkommen anders aus. Man kann natürlich die Eltern nicht dazu verdonnern, 50 Euro für einen Spind hinzulegen. Das darf man nicht. Klar. Lernmittelfreiheit. 150 Euro Landschulheim, 350 Euro Studienfahrt. Das schon. Aber 50 Euro für einen Spind. Nicht vorgesehen. „Leider“, sagen wir uns, denn so ein Spind für jedes Kind im Fünferhaus hat so viele Vorteile. Die ich jetzt aber nicht diskutieren will. Ich will erzählen, wie wir die Sache trotzdem zeitnah und direkt finanziert haben. Solange es noch bei allen brennt und noch nicht die Hälfte in Pension gegangen ist.

Der Faust-Geschäftsidee: Man vermietet den Eltern für einen Euro im Monat einen Spind für ihr Kind. Also 12 Euro im Jahr. Das ist völlig im Rahmen. Damit man den Spind aber bauen kann, braucht man 50 Euro. Also leiht man sich die restlichen 38 Euro bei denselben Eltern, die 50 Euro freiwillig einzahlen. Freiwillig wohlgemerkt. Muss sein. Diese 38 Euro verzinst man mit über 5% und zahlt dann, wenn man im nächsten Jahr die nächsten Eltern mit derselben freiwilligen Spind-Finanzierungsidee konfrontiert, die 40 Euro für die jetzigen Eltern zurück. Also 10 Euro freiwillig eingesammelt, inzwischen eigentlich von allen Eltern, denn der Kultfaktor einer Türe, die man nach der 5. Klasse in die 6. Klasse für die dortigen Spinde mitnimmt, dann in die 7. Klasse – so lange werden wir Spinde weiter bauen – um diese Kulttüren dann – in der 5. Klasse liebevoll angemalt- mit den Unterschriften der Lehrer/innen und Mitschüler/innen versehen, die dann einfach die totale bunte Schulerinnerung darstellen – in der eigenen Studentenbude stolz an die Wand zu hängen, diesem Werbesog konnte sich kaum jemand entziehen. Denn es ist ja keine heiße Luft, sondern echter wundervoller Kult. Sorry, ich weiß, meine Sätze. Mein Deutschlehrer hat die Länge immer bemängelt.

So finanziert man innerhalb von 3 Jahren ganz spezielle Spinde Marke Eigenbau. Mit verkauften Kult DVDs und einem eigenen Fünferhaus-Jahrbuch soll aber die Finanzierung schneller von statten gehen. Und – das finden wir – wir haben wirklich viel zu bieten. Erinnerungen dieser Art sind lebenswertvoll und nicht wichtig genug einzuschätzen.

Das hört sich für den normalen schulischen Antragsteller natürlich sehr seltsam an. Schule ist nicht für das freie Unternehmertum eingerichtet. Aber man könnte es einrichten. Und wenn die Politik es schaffen würde, diese Form des selbstständig Verdienens aus der halblegalgrauen Zone in eine pädagogisch zentrale positive Position zu rücken, dann hätten sie viele Fliegen mit einer Klappe erschlagen. Wollte ich nur mal erwähnt haben. Immerhin habe ich den Koalitionsvertrag aufmerksam gelesen. „“Wir setzen auf die Innovationskraft der Schulentwicklung von unten.“ Das höre ich doch sehr gerne.

16. Oktober 2010

Fünferhaus – einfach so

Abgelegt unter: Fünferhaus — heinz.bayer @ 00:12

Klar haben wir ein grobes Fünferhaus-Konzept. Aber die Feinausbildung ist erst im Entstehen. Doch schon vor der endgültigen Konzeptfassung ist die Idee, die neuen Faustler in einem eigenen Haus zu empfangen, eine wundervolle, pädagogische Idee. “Haus des Zusammenhaltens” steht an einer Stelle. Das ist natürlich ein wesentliches Konzept. Ein Stufenfeeling zu erzeugen, das trägt. Jeder Erwachsene weiß, wie ungeheuer prägend und wichtig die Netzwerkbildung in der Schulzeit für die eigene Person und das eigene Lebensgefühl ist. Wie die Einstellung zum Lernen ist. Viel wichtiger als das den üblichen Beschreibungen von Schule ausgedrückt wird. Existenziell. Lebensbedeutend. Zentral wichtig für das spätere Berufsleben. Wie gehe ich durch die Welt? Wie ist mein Selbstbewusstsein derselben gegenüber? Jetzt wächst dieses Ding, das später die entscheidenden Grundlagen bringt. In der Hochphase der Pubertät von zwölfeinhalb bis sechzehneinhalb werden von vielen viele Grundlagen geparkt, um dann wieder mit siebzehn darauf zurückzugreifen. Um ein gutes Abitur zu machen. Speziell die Sache mit dem gerne lernen wird von vielen geparkt. Biologie plus Mainstream heißt der Hintergrund. “Das Gymnasium schafft es nicht, den Spaß am Lernen zu erhalten.” hört man so oft. Ich würde es vollkommen anders sagen: “Wenn man die Pubertät ins Alter von 25 schieben könnte, dann hätten die Universitäten das Imageproblem und die Gymnasien wären die Bringer.” Da bin ich der festen Überzeugung. Leider ist das seit Generationen ein schlichtes und gut funktionierendes Erklärungsmuster, das leider in Zeiten der Gehirnforschung immer mehr zerlegt wird. Die Pubertät in der Schulzeit, das ist für viele Schüler ein richtiges Problem. Und keiner kann etwas dafür. So schön das wäre, hier den schwarzen Peter abzugeben.

11. Oktober 2010

Fünferhaus – ein Traum?

Abgelegt unter: Fünferhaus — heinz.bayer @ 00:12

Liebe Leser und – innen

Verzeihen Sie mir, dass ich am Anfang doch noch etwas verhalten berichte. Nicht dass meine Begeisterung über unser Modell am Ende die Realität wild überholt. Denn an manchen Tagen denke ich irgendwie total verwundert: “War das jetzt wirklich so einfach? Warum sind wir da denn nicht früher drauf gekommen?“ Die Fünfer in einem eigenen Haus ans Faust behutsam aufzunehmen hat so enorm viele Vorteile. Auch wenn die Teppichböden die alten und die Toiletten dringend restauriert gehören. Unsere drei großen Regeln, die im Eingang hängen, sind irgendwie im Moment spürbare Realität. Haus der Ruhe. Ja tatsächlich. Es ist sehr ruhig im Fünferhaus. Ich hatte im Vorfeld immer von einer verrückten Vision gesprochen. Und viele haben gelacht. Haus der Ruhe. Mit Fünftklässlern. Mit dieser Spezie von Mensch, die eigentlich an einem Gymnasium dafür bekannt sind, dass ein Teil ihrer Gruppe unentwegt die Großen nervt und vor lauter Energie unendlich Unruhe in die Schule bringt. Und jetzt. Haus der Ruhe. Ein Witz. Oder? Aber nein. Kein Witz. Es ist so. Ich klopfe dreimal auf Holz und hoffe, dass ich Ihnen in vier Wochen noch dieselbe Botschaft übermitteln kann. Haus der Ordnung: Auch das. Im Rahmen, den wir vorfinden, ist es so. Und das Haus des Zusammenhaltens: Na ja. Das Stufenfeeling, das sich breitmacht, das konnte sich natürlich in früheren Zeiten niemals entwickeln. Wir machen unser Haus um 7 Uhr 15 auf. Die Kinder können schon so früh in ihre Klassenzimmer. Sich in die Bücherecke setzten und lesen. Sich noch einmal ihre Hausaufgaben durchsehen. Sich mit den anderen Schüler/innen aus der Stufe austauschen. Ruhig, unaufgeregt. Sehr angenehm, kann ich da als einer sagen, der die Stimmung immer am Mittwochmorgen einfängt und genießt.

Ich werde weiter berichten.

Heinz Bayer

Fünferhaus-Fan der ersten Stunde. :-)

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