Flügelverleih meets Hattie

18. Februar 2010

Wie viel Schuld hat man als Lehrer?

Abgelegt unter: Arbeitshaltung — heinz.bayer @ 23:34

Schon wieder ein tödlicher Anschlag auf einen Lehrer. Diesmal in Ludwigshafen. Traurige Entwicklung. Ich denke dabei immer, wie unglaublich in dieser Zeit die Anforderungen an unseren Berufsstand sind. Für so viele junge Menschen sind einfach die Lehrer schuld, wenn die Noten schlecht sind. Scheinbar klare Sache: Die geben diese Noten ja  auch. Zitat: „Der leitende Oberstaatsanwalt Lothar Liebig gab auf einer Pressekonferenz bekannt, dass der aus Ludwigshafen stammende Täter als Motiv nannte, als ehemaliger Schüler wütend auf sein Opfer gewesen zu sein, weil dieser ihm schlechte Zensuren gegeben habe.“ Schlechte Noten – ein Mordmotiv. Schon klar. In dieser extremen Auswirkung ein Einzelfall. Aber es liegt im Trend.

Zum Beispiel das „Das Lehrerhasserbuch“ von Lotte Kühn. Es wurde ein Bestseller. Untertitel: „Eine Mutter rechnet ab.“  - „Ein furioses Buch- der Spiegel“ steht auf dem Umschlag. Auch hier sind einfach mehr oder weniger die Lehrer schuld. Die Kinder werden schlicht als wesentliche Personen ausgeklammert. Nur als Leidtragende geführt. Nicht als wichtige Personen im Lernprozess ernst genommen. Mit dem falschen Verständnis von jungen Menschen in die falsche Richtung geschossen. Und die Leser applaudieren. Beim Lesen war ich oft peinlich berührt, wie plump diese Mutter sich ihren Frust von der Seele schreibt. „Der Stammtisch schreibt heute eben auch Bücher“ könnte man das ja abtun, wenn der Trend nicht so eindeutig wäre. Wer weiß, wie Kinder heute in der Schule sind, schmunzelt bei der Vorstellung, diese Mutter müsste unsere Arbeit machen. Wer solche Anforderungen stellt, darf bitte nie Lehrer werden. Aber das Buch funktioniert. Leider. Und die Leidtragenden sind die Kinder selbst. Weil diese oft viel zu wenig daran glauben lernen, dass sie selbst die wichtigsten Lehrer sind. Wer zu Hause als Vater oder Mutter die grundsätzliche Sichtweise von „da ist doch sicher der Lehrer ist schuld“ einnimmt, der meint wahrscheinlich, er würde den Kindern Stärke geben. Da kann ich aus der Erfahrungssicht eines 30jährigen Praktikers nur sagen: Man stiehlt seinem Kind hier nur die Eigenverantwortung. Und gibt ihm die Schwäche des scheinbaren Opfers.

Wenn man echte Probleme sieht, dann gehen professionelle Eltern direkt in die Schule, klären schwierige Sachverhalte vor Ort und schimpfen nicht zu Hause über Lehrer. Wer dies durchhält, der verbessert die Abitursnote seines Kindes garantiert um einige Zehntel. Egal wie unfähig manche von uns Lehrern in seinen Augen sein mögen.

Die Qualität von Lehrern, Psychologen, Rechtsanwälten, Ärzten, Installateuren oder Journalisten sollten wir an anderer Stelle diskutieren. Den Lehrerberuf glauben eben die meisten Menschen zu kennen, weil sie selbst 10 bis 13 Jahre Schüler waren. Übrigens ein fundamentaler Irrtum. Aber da reden wir jetzt nicht drüber, sonst wird der Blogartikel zu lang.

Liebe Leser und Eltern. Ich würde im Sinne ihrer Kinder lieber auf die Kinder selbst setzen. Das ist eine wesentlich erfolgreichere Strategie, als Lehrer zu hassen.

Ich habe vor einiger Zeit eine für mich persönlich in vielen Situationen sehr wichtige Philosophie einmal auf so einen Schüleralltag umgeschrieben.

Zuerst das Original

Autobiographie in fünf Kapiteln

Ich gehe die Straße entlang

Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig

Ich falle hinein

Ich bin verloren … Ich bin ohne Hoffnung

Es ist nicht meine Schuld

Es dauert endlos, wieder herauszukommen

Ich gehe dieselbe Straße entlang

Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig

Ich tue so, als sähe ich es nicht

Ich falle wieder hinein

Ich kann nicht glauben,  schon wieder am gleichen Ort zu sein

Aber es ist nicht meine Schuld

Immer noch dauert es lange, herauszukommen

Ich gehe dieselbe Straße entlang

Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig

Ich sehe es

Ich falle immer noch hinein… aus Gewohnheit

Meine Augen sind offen

Ich weiß, wo ich bin

Es ist meine eigene Schuld

Ich komme sofort heraus

Ich gehe dieselbe Straße entlang

Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig

Ich gehe darum herum

Ich gehe eine andere Straße

Nyoshul Khenpos   (Buddhistischer Mönch)

Autobiographie eines Schulerfolgs

Ich laufe mein Leben entlang

Da ist plötzlich eine schwere Klassenarbeit auf dem Weg

Ich habe gar nichts davon gewusst

Ich stürze ab – ich weiß fast nichts

Ich bin verloren

vier bis fünf – Ich bin ohne Hoffnung

Aber der Lehrer hat auch so schlecht erklärt.

Wir haben viel zu wenig im Unterricht geübt

Es war wie immer viel zu schwer

Und er motiviert außerdem einfach schlecht

Es dauerte endlos, bis ich das 4 bis 5 Gefühl nicht mehr spüre.

Ich laufe mein Leben entlang

Da kommt eine schwere Klassenarbeit des Wegs auf mich zu

Ich sehe weg, verdränge ihre Existenz

Ich stürze ab, ich weiß fast nichts

Ich bin verloren

Ich kann es nicht glauben – schon wieder 4 bis 5

Aber er hat auch so schlecht erklärt

Wir haben so eine Aufgabe noch nie gemacht

Es war wie immer viel zu schwer

Und er motiviert außerdem einfach schlecht

Immer noch dauert es lange, bis ich das 4-5 Gefühl nicht mehr spüre

Ich laufe mein gleiches Leben entlang

Da ist eine schwere Klassenarbeit auf dem Weg

Ich sollte wirklich einmal lernen

Ich stürze ab – ich weiß nicht viel – aus Gewohnheit

Ich sehe den Grund

Vielleicht hat er schlecht erklärt – aber ich habe ja auch selten zugehört

Es heißt, man müsse Transferaufgaben lösen können

Wir sollten zu Hause üben – aber ich habe wie immer abgeschrieben

Es war schwer, aber man hätte es wohl lösen können

Ich lasse mich offensichtlich wirklich schwer motivieren

Ich sehe klar – ich entdecke ein Ziel

Ich spüre schnell das 4-5 Gefühl nicht mehr

Ich gehe mein Leben entlang

Da ist eine schwere Klassenarbeit auf dem Weg

Ich habe schon Tage vorher gelernt

Ich habe einfach im Unterricht aufgepasst.

Heinz Bayer

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