Seele baumeln lassen
Das Schuljahr verarbeiten
Nach den Ferien ist der Kopf wieder frei.
Keine Sorge – sollten Sie regelmäßiger Blogleser sein – Seele baumeln lassen heißt für mich auch: In Ruhe und entspannt schreiben können. Mehr Zeit dafür haben. Schreiben und im Moment ein guter Chianti. Das ist Lebenslust pur. Für mich wohlgemerkt. Andere gehen Bergsteigen oder Windsurfen, Museen besuchen oder liegen genussvoll am Strand.
Sommerferien 2011 heißt für mich, das pädagogische Schweizermesser neu aufzulegen. Geschrieben als Fortbildungsskript für meine Lieblingsfortbildung. Einmal im Jahr kommen alle frischgebackenen Schuldirektoren aus Baselland ans Faust-Gymnasium. Eine ehemalige Schülerin kennt als Direktorencoach unsere speziellen Qualitäten. Weiß, dass man bei uns zeigen kann, was passiert wenn man als Direktor Dinge zulassen kann. Wenn man mit flachen Hierarchien arbeitet. Wenn dann auch Lehrer zulassen können. Was Schüler leisten können, wenn man sie einfach in erster Linie als Persönlichkeit ernst nimmt. Das kostet keinen Cent, ist aber hocheffizient. Wir können so zum Beispiel im Moment ein junges Schülerkollegium von 70 Coachs der Klassen 9 bis 12 vorweisen, die ernsthafte Bildungsarbeit mit kleineren Schülern in der Nachmittagsschule betreiben. Das ist schon lange ein „Spezialgebiet“ unserer Schule: Schüler/innen ernst nehmen. Nicht alle schaffen das, keine Sorge. Wir sind kein so außergewöhnliches Gymnasium. Wir sind personell vom Regierungspräsidium mehr oder weniger von außen zusammengepuzzelt. „Macht euch klar, wie froh ihr euch schätzen könnt, eure Leute selbst einstellen zu können,“ hat Veronika Lévesque von der Erwachsenenbildungsstelle Baselland bei der letzten Fortbildung im Juli zu ihren Direktoren gesagt. Hier in Deutschland wird einfach zugewiesen. Verrückte Sache. Ein Betrieb, dessen Mitarbeiter nur nach einem schlichten Fächerbedarf verteilt werden. Nicht danach, ob ein Lehrer auch an eine Schule passt. Da würde jeder Betrieb umgehend Konkurs anmelden können. Na ja, Schulen schaffen es schon irgendwie. Man ist es ja gewohnt, sich zusammenzuraufen. Aber es ist eben unbefriedigend. Nur bringt das hier nichts, darüber zu lamentieren. Man sollte es einfach wissen. Ich bin der Pragmatiker, der sich fragt, wie man unter den ganz normalen Bedingungen eines personell sehr zufällig bestückten Betriebes trotzdem optimiert arbeiten kann.
Beim pädagogischen Schweizermesser ging es vor ein paar Jahren speziell um den außerunterrichtlichen Bereich. Tonstudio, Filmteam, Solartechnik, Umweltschutz, Politcafé, Jahrbuchteam, Mode-Designteam etc etc … Wir haben in den letzten Jahren mit so vielen Dachleuten der Zukunft die verschiedensten Projekte verwirklicht, die aber immer auf aktuell an der Schule lebende Schüler setzten und nicht auf aktuelle Lehrer.
„Schülerschule“ war der Projekttitel, mit dem uns die EXPO2000 Jury nominiert hatte. „Prinzip Kaktus“ der Konzepttitel, den einmal ein Hochaktiver kreiert hat.
Der Kaktus ist ein Gewächs, das mit wenig Pflege auf kargem Boden oft erstaunliche Blüten treibt.Der Kaktus geht aber auch bei zu viel Pflege ein.
Der Kaktus ist ein Gewächs, bei dem man für viel Fleisch und Substanz eben auch Stacheln in Kauf nehmen muss – sicher keine bequeme Pflanze, aber eine mit ungeheuer effektiver Leistungsbilanz.
Wenn man als Lehrer gewöhnt ist, eine Stunde vorzubereiten,
damit diese Stunde dann auch nach eigenen Vorstellungen abläuft – immerhin hat man dafür ja ein Hochschulstudium absolviert – wenn man als Lehrer also daran gewöhnt ist, den Weg klar vorzugeben und zu strukturieren, dann ist die Sache mit dem Kaktus sehr gewöhnungsbedürftig. Denn man hat die Sache einfach nicht wie gewohnt in der Hand. Es gleicht eher einer Fahrt mit einem prallgefüllten gelben Gummiboot als einer Zugfahrt auf Schienen mit Fahrplan und Ankunftsgarantie. Die Rolle des Lehrers in der freien Teamarbeit von selbstständig aktiven Schülern ist das pädagogische Begleiten eines sich selbst steuernden intensiven Lernprozesses.
Man muss als Lehrer nicht mehr wissen als seine Schüler, um etwa einen Netzwerk-Kurs erfolgreich zu leiten. Oder ein Tonstudio betreiben zu lassen. Die jahrelangen Erfahrungen mit dem Konzept der fausTeams im außerunterrichtlichen Bereich
haben gezeigt: Das Prinzip Kaktus ist eine erfolgreiche didaktisches Arbeitsweise.
(aus dem pädagogischen Schweizermesser)
Inzwischen ist unsere außerunterrichtliche Arbeit samt Grundidee zentral in der Schule angekommen. Bei unseren Schweizer Gästen präsentieren wir natürlich auch heute noch diese außerunterrichtlichen Möglichkeiten einer „Schülerschule“, die ja immer noch aktuell sind. Hauptsächlich geht heute aber diese Fortbildung um Menschenbild und individuelle Betreuungsmöglichkeiten in dem Gesamtkonzept einer Schule. Um die riesigen Chancen, die man sich vergibt, wenn man als Schule nicht die Fähigkeiten zukünftiger Leistungsträger schon früh einsetzt. Chancen für die Schule und für das Ernstnehmen junger Menschen. Deshalb werde ich in diesen Ferien das Pädagogische Schweizermesser vollkommen neu auflegen und Sie hier daran teilhaben lassen. Sollten sie also Zeit, Lust und Muse haben, ich werde mein Traumbild Schule unter den ganz normalen Bedingungen eines Durchschnittsgymnasiums hier in eine Vision packen, mit vielen realen, funktionierenden Bereichen aus der real existierenden Schulpraxis am Faust-Gymnasium in Staufen.
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