Flügelverleih meets Hattie

22. November 2014

Vom Autopädakt bis zu den Hausaufgabenheften

Abgelegt unter: Faust-Eltern-Beratung — heinz.bayer @ 21:39

Ja klar kann ich das machen. Einige von euch wollten den alten Autopädakten einsehen. In digitalen Zeiten ist es ja verrückterweise nicht mehr schwer, seine alten handgeschriebenen Zeilen auf pdf-Format zu pressen. Hier also die erste Grundlage für das, aus dem später dann das Fach „Grundbildung“ wurde.
Ihr müsst zum Download allerdings auf www.faust-verleiht-flugel.de gehen und dort auf “Die Otto Kraz Story”. Hier im Blog bekomme ich die großen Dateien irgendwie nicht hochgeladen.

Grundbildung.

Der Autopädakt war der Startschuss für ein neues Fach.
Das Fach, das ich vor 20 Jahren unterrichtet habe, zusammen mit Gisa und Sabine, einer Ärztin und einer Journalistin. Also damals natürlich noch in Gestalt von Oberstufenschülerinnen, die aber schon ihre spätere Profession durchscheinen lassen konnten. Sie waren sehr interessierte Mitleserinnen dieses wachsenden Buches für meine Töchter und damit für mich sehr wichtige Beraterinnen. Quasi Zeitzeugen aus dem Inneren des jugendlichen Gefühls für Lebens-Situationen. Am Ende entstand durch die vielen Gespräche über das Leben und die eigentlichen Erfordernisse, um Schule lässig machen zu können, die Idee, ein neues Fach zu entwerfen. Grundbildung. Wir hatten die verrückte Idee, Fünftklässlern eine Ausbildung zukommen zu lassen, die es ihnen ermöglichen sollte, aufrecht durch die Schule zu gehen, am Ende aufrecht herauszukommen und dabei auch noch einen guten Job als Schüler/in zu machen. Und wir haben es beantragt. Drei Stunden Grundbildung, dafür eine Stunde weniger Englisch, eine Stunde weniger Deutsch und eine Stunde weniger Musik. Und ich war kein Fachlehrer, nur Klassen- und Grundbildungslehrer. Wir hatten für Grundbildung sogar eine eigene Zeugnisrubrik erhalten und unsere ersten eigenen Beratungszeugnisse geschrieben. Alles Neuland vor 20 Jahren und sehr spannend. Und unglaublich toll, dass wir das damals vom Chef genehmigt bekamen. Hätte ja auch voll in die Hose gehen können.
Ging aber nicht. Als ich 8 Jahre später beim Abitur nachgerechnet habe, hatten unsere Grundbildungsleute eine Abischnitt von 1,9 und der Rest der Stufe von 2,5.
Wir haben gut gefeiert.
Ja, ja, ich weiß. Keine echte Beweisführung. Nicht wissenschaftlich belegt. Einzelfall. Nur einmal bei einer Klasse durchgeführt. Die These: Mach die Leute maximal fit, damit sie durch die wunderbaren Wirren der Pubertät wunderbar durchkommen, um danach richtig Gas geben zu können. In diesem Jahr Grundbildung entstand die erste pädagogische Bilderflut des Heinz Eugen B.
Die Idee: Bilder prägen sich ein, wenn man sie positiv abspeichern kann. Der schnelle Blick darauf erinnert, ohne dass man was dafür tun muss. Alles keine Wissenschaftlichkeit. Nur eigene Erfahrung. Bauchgefühle. Wir hatten viel ausprobiert, diskutiert ernst genommen, zugehört, gefilmt, geschrieben, Wettbewerbe mitgemacht, gefeiert, überlegt und immer die Klassengemeinschaft im Blick gehabt. Es gab kein Vorbild, nur die Grundsicherheit, dass es Zeit wäre, Schule neu zu denken.

Der 1,9 Schnitt war ein Glücksfall für mich. Ich habe den Schnitt damals nicht an die große Glocke gehängt, aber für ich stand fest: Das ist es. Man muss an den Unterstützungssystemen arbeiten, um am Ende nicht nur in den Fächern erfolgreich zu sein.

Wen es interessiert, ich habe auch da einmal die ersten Überlegungen und die ersten 4 Wochen Dokumente hochgeladen. www.faust-verleiht-fluegel.de. Otto Kraz Story. Viel war einfach ins Blaue rein gemacht. Ausprobiert. Verworfen. Neu aufgestellt.

Für mich war es ausreichend, gleich nach dem 1,9 Schnitt das Projekt007 ins Leben zu rufen. Die Arbeit mit den Leuten, die später Abitur2007 schreiben würden.

Projekt 007
Direkt nach dem 1,9 Abischnitt gab es eine 9. Klassenstufe, die kein Physiklehrer mehr gerne unterrichten wollte, weil sie als unbeschulbare Stufe galt. Katastrophale Arbeitshaltung ging allen Klassen als Ruf voraus. Spannend für mich, also habe ich “zugeschlagen”. Habe alle in Physik unterrichtet. Mit dem Geist des Grundbildungserfolges im Hinterkopf glaubte ich an die Macht der Bilder und an die Möglichkeit, die Schüler/innen neu aufzustellen. Ich hatte den 007-Kalender erfunden, Eltern gleich mit eingepackt, experimentiert und jede Stunde neben Physik Oberstufengrundbildung betrieben.
Die Kalender habe ich auch bei www.faust-verleiht-fluegel.de. Bei manchen 007ern hängen sie ja vielleicht noch. :-)
Das End-Ergebnis: Nicht messbar. Allerdings gab es ja auch keinen Vergleichswert. Der Abischnitt war 2,3 wie der übliche Schnitt in Baden-Württemberg. Vielleicht wäre er ja ohne das Projekt 007 schlechter gewesen. Aber mein Traum, den Grundbildungserfolg für eine ganze verschrieene Stufe zu wiederholen, ging nicht in Erfüllung. Aber noch Jahre später bekam ich Mails wie: “Zu deiner Beruhigung: Jetzt fängt das Projekt 007 an zu wirken.” Aber mein damaliges Resümee hieß: Den Turbogang finden und einlegen bringt nur etwas in den Klassen vor dem Gehirnumbau. Danach sind zu viele Lücken, um für das Abitur noch richtig massiv messbar aufholen zu können.
Also habe ich immer als Klassenlehrer von 5. Klassen mit Bildern und Visualisierungen von Lernprozessen nur so um mich geworfen. Die 1,9 Abiturschnitt, das muss ich hier gestehen, den habe ich nie mehr erreicht, aber seit damals kamen alle meine Klassen, die ich als Fünftklassklassenlehrer mit Bildern und Geschichten “bombardiert” hatte, im Schnitt immer besser weg als der Schuldurchschnitt. Aber ich hatte natürlich auch nie mehr solche wundervollen Bedingungen, 3 Stunden in der Woche “echte Lebenshilfe” unterrichten zu können.

Die Spezie “Versetzungsgefährdete”
Eine neue Stufe meiner pädagogischen Bilder-und Beratungsflut trat ein, als wir ein Jahr am Faust hatten, in dem 42 versetzungsgefährdete Schüler/innen in den zehn 7. und 8. Klassen eine Situation zehn Wochen vor den Zeugnissen mit sich brachten, dass schon bei wenigen Nichtversetzungen aus fünf kleinen Klassen vier große hätten gemacht werden müssen. Horror. Für Schüler wie für Lehrer. Manche von euch kennen mich. Ich neige in solchen Situationen gerne zum kompletten Spinnen. “Wir machen mit denen ein Mentaltraining, dass eben keiner durchfällt.“ Elfriede H stieg mit ein und wir gründeten die Power-Watcher Wochen. Sowas wie Weight-watcher nur für Lernleistungssteigerung statt für’s Abnehmen. Luden alle Versetzungsgefährdeten der beiden Stufen ein und handelten mit ihnen einen Deal aus. “Wir setzen uns für euch am Ende ein, wenn ihr jede Woche einen Wochenbericht schreibt und einmal in der Woche zum Treffen kommt und allen anderen über eure Probleme und Fortschritte berichtet. Verboten sind Fernsehen und Computerspiele. Lieber ein Jahr Amerika als ein Jahr wiederholen.”
Verrückte Erfahrung, wie das Ding abging. Von der ersten Sitzung an. Wohl schon allein die Gewissheit, dass da jemand an sie glaubte, schien ungeahnte Kräfte freigesetzt zu haben. Klar, diese Veranstaltung war neu, keiner wollte sitzenbleiben, jeder spürte, dass da was anderes ging als in der Normalschule. Wir waren als Lehrkräfte hochmotiviert, den Kolleg/innen zu beweisen, dass wir nicht spinnen. :-) Natürlich hatten uns viele vorausgesagt, dass das vergebene Liebesmühe sei. Wir haben den Kolleg/innen trotzdem angenehmere Arbeitsbedingungen verschafft, obwohl wir es für die Schüler/innen gemacht haben. Alle 42 Versetzungsgefährdeten kamen durch. Ja, damals hat das Kollegium wild geklatscht, als der Chef das auf der Konferenz verkündet hatte.

Vom Standstreifen auf die Überholspur
Das war ein echter Turbobeschleuniger für einen Heinz Eugen B. Es hatte geklappt. Mitten in der Pubertät kann man also beschleunigen. Allerdings geht das nicht von außen. Den Schalter legt man nicht um, weil Eltern oder Lehrer den richtigen Druck aufbauen. Den Schalter legt man nur selbst um. Das war die Erkenntnis.
So haben wir in den Jahren drauf in jedem Jahr die Versetzungsgefährdeten eingeladen und solche Wochen durchgeführt. Vom Standstreifen auf die Überholspur, Raus aus der Falle, Wollen wollen, Gipfeltour etc… Wir haben die Sache in jedem Jahr anders benannt. Warum? Keine Ahnung. Neuland ist aus dem Bauch heraus immer besser. Neue Namen sind erfrischend. Die Sitzenbleiberquote haben wir über die Jahre damit in etwa halbiert.
Materialien wie immer auf www.faust-verleiht-fluegel.de

Flügelverleih
Ja und dann kam die neue Idee, mit all unseren pädagogischen Erfahrungen eine Nachmittagsschule für Fünfklässler zu gründen. Flügelverleih. Frei nach Goethe: Kinder brauchen Flügel und Wurzeln. Wir mussten ja mit G8 auch eine Hausaufgabenbetreuung anbieten. Aber wir haben lieber gleich ein ganzes Konzept draus gemacht. Wen es genauer interessiert: www.faust-verleiht-fluegel.de
Irgendwo stehen dort die Grundlagen für diese kleine aber feine Schule in der Schule. Ein zauberhafter Ort, der mit großem Aufwand und sehr erfolgreich seit mit Leben gefüllt ist. Ein echter Einstieg für die Kleinen in die große Welt des Faust, begleitet von Schülercoachs. Am Anfang über 60 Stück. Ja klar, es war schon lange die große Stärke des Faust: “Gebt Jugendlichen maximal viele Möglichkeiten, sich zu entwickeln, sich einzusetzen, sich zu beweisen, sich zu begeistern, eigeninitiativ zu werden, sich zu finden …. dann habt ihr viel für die Zukunft getan.”
Das war unser EXPO2000 Motto. Und das war auch bei der Gründung des Flügelverleihs am Faust der zentrale Ansatz. Seitdem arbeiten wir mit einem wundervollen jungen Kollegium, das pädagogisch sehr stark daherkommt. Fachleute der Zukunft, die uns jetzt schon mit ihrer Kompetenz helfen, gute Arbeit zu leisten. Im Rahmen dieser Nachmittagsschule kam die Idee auf, Präventionsarbeit zu machen. Unterstützen, bevor die Leute versetzungsgefährdet werden. Denn man kann es schon in der 5. Klasse absehen, wer es sein wird. Die Muster sind meist dieselben. Jump&Go war so ein verrücktes Projekt. Break&Go fiel in diese Zeit und dann gab es noch die Sommerschule und sogar einmal eine Skypeschule. Und einen Öhmkalender, der natürlich irgendwie an den 007-Kalender angelehnt war. Na ja, wir haben einfach immer viel ausprobiert. Material wie immer auf www.faust-verleiht-fluegel.de

Fünferhaus
Und dann kam die Zeit des Fünferhauses. Für die meisten von euch Ex-Faustler/innen war der Pavillon Heimat von Elftklässlern. Unten drin die Oberstufencafta. Legendär.
Mit der Idee des Fünferhauses verschwand das Oberstufenflair und kam das kunterbunte Unterstufenfeeling der Extraklasse in diese Räumlichkeiten. Ein Haus nur für die Fünftklässler. Ankommen in einer ersten kleinen Welt. Die Schleuse zwischen der klitzekleinen Grundschule und dem riesigen Gymnasium. Ich war natürlich mit dabei in der ersten Klassenlehrerrunde. Habe ja das Haus immerhin mitbegründet. Für meine eigene fünfte Klasse habe ich dann ein spezielles Hausaufgabenheft entwickelt, das mit meinen Bildern gespickt voll war. Die Idee: Jede Woche ein Bild, das ich immer in SoMeLe als Aufhänger genommen habe. SoMeLe ist seit langer Zeit am Faust Pflichtstunde in Klasse 5 und 6. Soziales und Methodenlernen. Es war mein kleines Privatheft und dann wollten es alle. Also haben wir das Hausaufgabenheft für alle fünften und sechsten Klassen eingeführt. Später nur noch für die fünften Klassen. Sechs ist schon wieder anders. Absprung. Aber Klasse fünf, das hat sich dann in den Jahren danach erwiesen, da sind viele Kinder dankbar für einen Haltegriff. Für einen Bestätiger. Für einen Beruhiger. Für einen Unterstützer. Für einen Turbolader. Für einen Erfolgscoach. Für einen Freund. …
Kinder haben mir das Heft tatsächlich sehr unterschiedlich rückgemeldet. Und klar, ein Drittel hat es sicherlich nie wirklich erreicht. Für die war es eben Hausaufgabenheft. Punkt. Und Hausaufgaben sind ja einfach blöd. Damit auch so ein Heft. :-)

Aber viele haben es einfach geliebt.
Download wie immer. www.faust-verleiht-fluegel.de bei Otto Kraz.

Hatte ich das mit dem Otto Kraz eigentlich schon? Ja, doch oder? Ich unterrichte ja als Otto Kraz in Weit im Winkl. www.aufeigenefaust.com Mehr dazu dort. Wen es interessiert.

Sechs Kreuze zum Erfolg
So und jetzt? Pensionierung? Ende der pädagogischen Reise? Keine Sorge. Für was hat man Kinder. Meine älteste Tochter hat einen kleinen Verlag gegründet. www.vinclair-verlag.de Sie hat die Hausaufgabenhefte gesehen, die Erfolgsstorys gehört und wollte die Hefte verlegen. Natürlich sagt man da als Vater nicht “Nein”, wenn die Idee aufkommt, die Hausaufgabenhefte für den kritischen Übergang von der Grundschule zur weiterführenden Schule neu zu konzipieren. Für die Unterstützung der Absprungschanze. Klasse 4 und 5. Ja und so kam es, dass die Hausaufgabenhefte das Faustland verlassen haben und nun auf dem freien Markt in Erscheinung treten. Ihr dürft ruhig davon erzählen, wenn ihr Leute kennt, die gerade Kinder in der 4. oder 5. Klasse haben. Ein wunderbares sensationelles zauberhaftes Geschenk der Extraklasse. Und ihr könnt gerne sagen: Mit dem Autor dieses Hausaufgabenheftes habe ich manch Schulfete gefeiert. :-) Ihr merkt, ich befinde mich jetzt schon außerhalb des Faust im kunterbunten, lebensprallen Werbeteil des vinclair-verlags.
Was jetzt noch als Begleitmaterial den Hausaufgabenheften folgt, ist der Elternberuhiger. Quasi die Gebrauchsanleitung, wie man als Eltern mit den Hausaufgabenheften professionell umgeht. Den schreibe ich für euch und für den Verlag meiner Tochter. Parallel. Denn das ist es eigentlich, was ich in den Ferien versprochen hatte: Einen Elternratgeber für Ex-Faustler zu schreiben.
So, wer jetzt immer noch mitliest, der hat sich eine Pause verdient.
Gruß

Der Heinz

13. Juni 2013

Finger weg von den Trüffelstunden

Abgelegt unter: Schulpolitik — heinz.bayer @ 21:09

Ein offener Brief an meinen obersten Dienstherrn

Sehr geehrter Herr Kultusminister

Noch ist es ja nicht amtlich. Noch kann die Regierung ja gemachte Überlegungen nachbessern. Ich weiß, Schule im tagtäglichen erfolgreichen Arbeiten wirklich zu verstehen, wenn man selbst nicht Lehrer ist, ist extrem schwierig. Weil jeder Mensch Schule sehr intensiv und sehr individuell in sich trägt. Und diese Bilder lebenslang nie aus sich heraus bekommt. Weil jeder mal Schüler war und einen Betrieb wie die Schule immer mit den Augen einer Schülerin oder eines Schülers in sich abgespeichert hat. Seine eigene Umstellung von Kind zum Erwachsenen steckt in diesem Bild, das niemals von sich aus objektiv sein kann. Und dann sieht man unseren Betrieb später durch die Brille einer Mutter oder eines Vaters oder durch die Augen eines Politikers. Das kann, übrigens ohne jeglichen Vorwurf, ebenfalls nicht wirklich objektiv sein. Nur so kann ich mir erklären, wie ein Politiker Lehrer, die in wichtigen Punkten ihren Dienstherrn kritisieren, als Heulsusen bezeichnen kann. Ich habe mit einer echten Auseinandersetzung kein Problem. Deshalb würde ich gerne im Moment ein wenig Betriebsinnenansicht betreiben. Klar, die wenigsten sehen die Schule natürlich mit den Augen einer Betriebsleitung. Deshalb glaube ich, dass im Moment vielen Verantwortlichen außerhalb der Schule gar nicht so wirklich klar ist, an welchen extrem wichtigen Deputatsstunden im Moment der Haushalt saniert werden soll und warum diese scheinbar kleinen Streichungen solch eine riesige Auswirkung haben würden, sollten sie tatsächlich kommen. Ich kann da übrigens noch immer nicht dran glauben. Ehrlich. Dass eine Regierung, die ich mitgewählt habe, weil ich gedacht hatte, dass sie es fertig bringt, Schule so zu verstehen, wie ich sie gut finde, an einer Stelle sparen will, wo es für mich so hanebüchen ist, dass ich echt fassungslos bin. Wir reden – für alle Mitlesenden – übrigens von einem Prozentsatz von sagen wir mal 1% vom Gesamtdeputatsaufkommen unserer Schule. Kleinvieh macht auch Mist, denkt da sicher so mancher. Wir sprechen von einem Gebiet, das man in Amtssprache als Ergänzungsbereich bezeichnet. Seit vielen, vielen Jahren schicken wir als aktive Schule immer mal wieder ernsthafte Briefe ans Kultusministerium, um darum zu kämpfen, mehr Deputatsstunden speziell für diesen Bereich Schulen zuzuordnen. Das sind für uns keine laschen kleinen anzahlmäßig zu vergessenden lächerlichen paar Deputatsstunden, sondern Gold-und-Perlen-Stunden, Stammzellen-Stunden, Powerpaket-Stunden, Entwicklungszauberstunden, Aus-1-mach-10-Stunden – ich denke man versteht, was ich meine. Als bei uns die letzte Deputatserhöhung durchgeführt wurde, kam aus Staufen die laute Bitte an Stuttgart, von diesen an einer Schule wie unserer mit der Erhöhung eingesparten 3 bis 4 Vollstellen doch eine halbe Stelle noch an der Schule zu belassen. Und zwar genau für diese so knapp bemessenen Trüffelstunden. In den letzten Jahren haben viele Schulen das Kunststück fertiggebracht, die kontinuierliche Reduktion dieser Schulgestaltungsstunden  so wegzustecken, dass trotzdem individuelle Schulentwicklung möglich war. Als ich als junger Lehrer 1979 anfing, hatte das Faust-Gymnasium bei den Herzblut-Stunden noch einen Faktor 2,5 mal Anzahl der Klassen. Bei uns also etwa 120 Stunden. Wir haben AGs angeboten, dass es eine Freude war. Heute liegt der Faktor bei 0,5. Offizielle AGs mit bezahlten Kolleg/innen können wir uns jetzt nur noch beim Chor und beim Theater leisten. Mit einer jahrzehntelangen Musiktradition und einer exzellenten Theatertradition haben wir vielen späteren Leistungsträger/innen die nötige kulturelle bunte Farbe des echten Lebens mitgeben können. Mit einer aktiven Schülerprojektarbeit konnten wir in vielen Bereichen die Einsparungen bei den Schulentwicklungsstunden kreativ ausgleichen. “Aus der Not eine Tugend machen” hatten sich damals manche von uns gedacht. “Schülerschule” hieß unser Konzept, mit dem wir es geschafft haben, mit den paar Diamantenstunden als EXPO2000 Projekt international geadelt zu werden.  Wir hatten im Bereich der SMV und im Bereich der aktiven Schüler/innen angefangen, viele Möglichkeiten für Hochaktive zu schaffen, die nur rückendeckend betreut wurden. Die Fachleute der Zukunft schon an der Schule groß werden zu lassen, heißt dieses Konzept. Eine einzige Trüffelstunde gab es all die Jahre für uns damaligen Verbindungslehrer. 5-10 echte Arbeitsstunden haben wir sicher immer daraus gemacht. Mit Begeisterung und Lust, klar. Man muss uns also nicht nachträglich bedauern. Aber ohne diese Goldesel-Stunde glaube ich nicht, dass wir teilweise bis zu 10 Musikveranstaltungen im Jahr vorbereitet und gestemmt bekommen , eine stabile Musikszene aufgebaut und ein schuleigenes Tonstudio selbst finanziert und eingerichtet bekommen hätten. Allein die Schirmherrschaft von Frau Dr. Schavan für unseren EXPO-Auftritt – immerhin waren wir eine der wenigen öffentliche Schulen in Deutschland, die von der EXPO-Jury geadelt wurde – hätte uns garantiert nicht getragen. Ein Tausend-Dankeschön ist keine Trüffelstunde. Trüffelstunden sind Anerkennungsstunden, die man benötigt, um Schule vor Ort zu gestalten. Unser Konzept, aktiven Schüler/innen Gestaltungsraum zu geben, benötigt diese Raketenstunden. Diese Beschleunigungsstunden. Unsere EXPO2000 Projekt-Aussagen von damals gelten am Faust heute mehr denn je:

3% eines Jahrgangs sind innerhalb der Schule hochaktiv, wenn man ihnen eigenverantwortlich die Möglichkeit dazu gibt. Mit dem persönlichen Umfeld werden daraus 10% Aktive. Und 10% Aktive können das Bild einer Schule wesentlich verändern, wenn man dies zulässt.

Das Grundkonzept: Begreife die Fähigkeiten aktiver Schüler als Chance für eine lebendige Schule. Integriere die speziellen Interessen aktiver Jugendlicher, um den Lebensraum Schule zu optimieren. Erkenne die Profis der Zukunft, die schon in der Schule ihre Qualitäten preisgeben, so man sie lässt.

Gebt Jugendlichen maximal viele Möglichkeiten, sich zu begeistern, sich zu beweisen, sich einzusetzen, aktiv zu werden, selbst Inhalte zu finden, eigene Fähigkeiten zu entdecken, ernst genommen zu werden – dann habt ihr viel für die Zukunft getan.

Aber um solche Konzepte zu betreiben, benötigt man Verbindungslehrer/innen, die man zumindest mit einer Trüffelstunde ausstatten kann. Welcher Maschinenbauingenieur (das wäre ich übrigens beinah geworden, wenn mich die Schule am Ende nicht doch viel mehr gereizt hätte) käme auf die absurde Idee, eine innovative Idee für neue Hochleistungsturbine für seinen Konzern nebenher in seiner Freizeit zu entwickeln, aber dafür nur einen Händedruck von seinem Konzernchef zu bekommen.

Schule tickt hier auch nicht anders, muss allerdings unter erschwerten Bedingungen ihren Betrieb am Laufen halten. Betriebe stellen ihre Mitarbeiter nach Einstellungsgesprächen und Bewerbungen ein. Schule bekommt Mitarbeiter von einer Behörde zugewiesen (mit ganz wenigen Ausnahmen, die bei uns Jahre zurückliegen). Jeder Betrieb ginge pleite, wenn er Mitarbeiter nach Zuweisung einstellen müsste. Schule muss dieses Kunststück vollbringen. Die Trüffelstunden sind die einzige Steuerungsmöglichkeit für Schulleitungen, der eigenen Schule einen eigenen Stil zu geben. Mit den im Laufe der Jahre zugewiesenen Kolleg/innen einen guten individuellen Schulstil zu finden. Projekte ins Leben zu rufen, die zur Schule passen. Ich schildere einmal die Bereiche, die am Faust Trüffelstunden benötigen. Naturwissenschaftliche Sammlungsleitungen, Fachabteilungsleitungen, eine exzellente individuelle Oberstufenberatung, eine exzellente schuleigene Berufsberatung, eine durchdachte Suchtprävention, eine große Streitschlichtertradition, ein Tonstudio samt Jugend-Musikszene, ein hochaktives Verbindungslehrerteam, eine Vielzahl von Austauschprogrammen, eine gute Pressearbeit, ein innovatives Hausaufgabenbetreuungskonzept, viele Beratungs- und Unterstützungskonzepte und und und … Faust ist bunt, vielfältig und aktiv. Seit ich denken kann. Wir haben viele Klippen gemeistert. Aber wir hatten offensichtlich trotzdem immer noch Zuspruch vom Oberschulamt und dem späteren Regierungspräsidium, doch irgendwie am Ende mit viel Ringen um die gute Schulkultur noch ein paar Trüffelstunden für das Faust aus einen Topf zu bekommen. Jedes Jahr auf’s Neue: Daumen drücken. Auf Holz klopfen. Gut verhandeln. Jetzt scheint echter Trüffelstundenkahlschlag angesagt. Rasenmähermethode. So zumindest wirkt es auf uns. Die Faktor 0,5 Trüffelstunden stehen zur Disposition. Und die Daumendrück- und Holzklopf-Trüffel, die früher möglicherweise durch Überzeugungsarbeit aus doch irgendwo noch vorhandenen Töpfen von höherer Stelle “geduldet” verwendet werden durften, die tauchen in der Statistik einfach nicht mehr auf, weil es sie ja rechtlich zugestanden gar nie gab. Schulen, die nie um den Trüffel gerungen haben, merken das Streichkonzert vielleicht gar nicht so heftig. Für das Faust, das sage ich aus voller Überzeugung, ist das Streichkonzert der Trüffelstunden eine echte pädagogische Katastrophe. Für einen Fachabteilungsleiter, der für Entwicklung einer Schule mit weit über 1200 Schüler/innen und 120 Kolleg/innen verantwortlich zeichnen soll, ein Schlag ins Gesicht.

Ich werde später im Flügelverleih-Blog an diesem Thema konstruktiv weiterschreiben, will aber an dieser Stelle schon einmal einen ersten praktischen Vorschlag einbringen. Wenn es der rot-grünen Regierung um die Stärkung der Bildung geht und nicht nur um das reine Sparen und davon gehe ich eigentlich immer noch aus, dann muss bei allem Verständnis für die Probleme bei der Haushaltskonsolidierung z.B. ein dringender Schritt gemacht werden. Die Regierungspräsidien müssen Deputatsstunden für die anstehenden Umstrukturierungs-Prozess zu bekommen. Eine Vollstelle für den Übergang. Möglichst Trüffelstunden für aktive Mitarbeiter/innen, die es als persönliche Herausforderung ansehen, trotz dem angesagten Sparen mit den einzelnen Schulen ins individuelle Gespräch zu kommen, um zu vermeiden, dass der Rasenmäher die aktivsten Schulen pädagogisch an die Wand fahren lässt. Der Sparzwang auch an der uns vorgeschalteten Behörde degradiert diese zur reinen Deputatsstundenverwaltungsbehörde ohne jegliche Möglichkeit, Lehrereinstellungen und Deputatszuweisungen als innovatives Schulentwicklungsinstrument zu verwenden. An der Basis haben wir das Gefühl, von denen, die uns eigentlich unterstützen könnten, vollkommen verlassen worden zu sein. Auch das kann Rot-Grün niemals wollen. Sie merken, ich bin noch voll blauäugiger Hoffnung.

Mit freundlichen Grüßen aus Staufen

Heinz Bayer

Fachabteilungsleiter für Schulentwickung

Leiter de Nachmittagsschule

p.s. Einer unserer Schulsprecher hat vor vielen Jahren für unsere schüleraktiven Konzepte das “Prinzip Kaktus” erfunden. Der Kaktus benötigt nur wenig Wasser und Pflege, wächst auf kargem Boden, um am Ende trotzdem sehr viel Substanz zu entwickeln. Jetzt habe ich das Gefühl, unserem Kaktus wird auch noch der karge Boden aus Spargründen entzogen.

Sehr geehrter Herr Minister.

Das kann es nicht sein.

Für Insider hier vielleicht auch noch das letzte faust-aktuell zum Thema, falls noch nicht gelesen.

faust-aktuell-mai13

12. November 2011

10. Woche – Fragen fragen

Abgelegt unter: Hausaufgabenheft — heinz.bayer @ 08:56

Wie immer die Seite der Woche: Fragen fragen

Wir betreuen an unserer Schule versetzungsgefährdete Schüler auf eine ganz spezielle Art. Ein wesentlicher Ansatz in diesem Konzept lautet: Ihr müsst strecken. Ihr müsst fragen, wenn ihr etwas nicht versteht. Ihr müsst euch einbringen, dann werdet ihr vollautomatisch besser. Schüler, die nicht mitkommen, befinden sich in einem gemeinen Kreislauf von Nichtverstehen und Nichttrauen, sich einzuklinken. Weil sich zu viele Schüler/innen schämen, etwas nicht zu wissen. Schon in unserem ersten Kurs vor vielen Jahren war genau diese Vorgabe, ein Strecktagebuch zu führen, der Knaller. Wir hatten einen Kurs initiiert, bei dem man sich einmal die Woche traf, um kurz zu reflektieren, wie es lief. 10 Wochen vor den Zeugnissen. Lauter versetzungsgefährdete junge Menschen in echter Not, die in dem Kurs gerettet werden sollten. Aber durch den eigenen richtigen Einsatz und nicht durch Nachhilfe im Fach. Power Watching hatten wir den ersten Kurs genannt. Angelehnt an die Idee der Weight Watchers, dass man durch regelmäßiges Austauschen mit Gleichgesinnten echte Fortschritte erzielen kann.

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