Ein offener Brief an meinen obersten Dienstherrn
Sehr geehrter Herr Kultusminister
Noch ist es ja nicht amtlich. Noch kann die Regierung ja gemachte Überlegungen nachbessern. Ich weiß, Schule im tagtäglichen erfolgreichen Arbeiten wirklich zu verstehen, wenn man selbst nicht Lehrer ist, ist extrem schwierig. Weil jeder Mensch Schule sehr intensiv und sehr individuell in sich trägt. Und diese Bilder lebenslang nie aus sich heraus bekommt. Weil jeder mal Schüler war und einen Betrieb wie die Schule immer mit den Augen einer Schülerin oder eines Schülers in sich abgespeichert hat. Seine eigene Umstellung von Kind zum Erwachsenen steckt in diesem Bild, das niemals von sich aus objektiv sein kann. Und dann sieht man unseren Betrieb später durch die Brille einer Mutter oder eines Vaters oder durch die Augen eines Politikers. Das kann, übrigens ohne jeglichen Vorwurf, ebenfalls nicht wirklich objektiv sein. Nur so kann ich mir erklären, wie ein Politiker Lehrer, die in wichtigen Punkten ihren Dienstherrn kritisieren, als Heulsusen bezeichnen kann. Ich habe mit einer echten Auseinandersetzung kein Problem. Deshalb würde ich gerne im Moment ein wenig Betriebsinnenansicht betreiben. Klar, die wenigsten sehen die Schule natürlich mit den Augen einer Betriebsleitung. Deshalb glaube ich, dass im Moment vielen Verantwortlichen außerhalb der Schule gar nicht so wirklich klar ist, an welchen extrem wichtigen Deputatsstunden im Moment der Haushalt saniert werden soll und warum diese scheinbar kleinen Streichungen solch eine riesige Auswirkung haben würden, sollten sie tatsächlich kommen. Ich kann da übrigens noch immer nicht dran glauben. Ehrlich. Dass eine Regierung, die ich mitgewählt habe, weil ich gedacht hatte, dass sie es fertig bringt, Schule so zu verstehen, wie ich sie gut finde, an einer Stelle sparen will, wo es für mich so hanebüchen ist, dass ich echt fassungslos bin. Wir reden – für alle Mitlesenden – übrigens von einem Prozentsatz von sagen wir mal 1% vom Gesamtdeputatsaufkommen unserer Schule. Kleinvieh macht auch Mist, denkt da sicher so mancher. Wir sprechen von einem Gebiet, das man in Amtssprache als Ergänzungsbereich bezeichnet. Seit vielen, vielen Jahren schicken wir als aktive Schule immer mal wieder ernsthafte Briefe ans Kultusministerium, um darum zu kämpfen, mehr Deputatsstunden speziell für diesen Bereich Schulen zuzuordnen. Das sind für uns keine laschen kleinen anzahlmäßig zu vergessenden lächerlichen paar Deputatsstunden, sondern Gold-und-Perlen-Stunden, Stammzellen-Stunden, Powerpaket-Stunden, Entwicklungszauberstunden, Aus-1-mach-10-Stunden – ich denke man versteht, was ich meine. Als bei uns die letzte Deputatserhöhung durchgeführt wurde, kam aus Staufen die laute Bitte an Stuttgart, von diesen an einer Schule wie unserer mit der Erhöhung eingesparten 3 bis 4 Vollstellen doch eine halbe Stelle noch an der Schule zu belassen. Und zwar genau für diese so knapp bemessenen Trüffelstunden. In den letzten Jahren haben viele Schulen das Kunststück fertiggebracht, die kontinuierliche Reduktion dieser Schulgestaltungsstunden so wegzustecken, dass trotzdem individuelle Schulentwicklung möglich war. Als ich als junger Lehrer 1979 anfing, hatte das Faust-Gymnasium bei den Herzblut-Stunden noch einen Faktor 2,5 mal Anzahl der Klassen. Bei uns also etwa 120 Stunden. Wir haben AGs angeboten, dass es eine Freude war. Heute liegt der Faktor bei 0,5. Offizielle AGs mit bezahlten Kolleg/innen können wir uns jetzt nur noch beim Chor und beim Theater leisten. Mit einer jahrzehntelangen Musiktradition und einer exzellenten Theatertradition haben wir vielen späteren Leistungsträger/innen die nötige kulturelle bunte Farbe des echten Lebens mitgeben können. Mit einer aktiven Schülerprojektarbeit konnten wir in vielen Bereichen die Einsparungen bei den Schulentwicklungsstunden kreativ ausgleichen. “Aus der Not eine Tugend machen” hatten sich damals manche von uns gedacht. “Schülerschule” hieß unser Konzept, mit dem wir es geschafft haben, mit den paar Diamantenstunden als EXPO2000 Projekt international geadelt zu werden. Wir hatten im Bereich der SMV und im Bereich der aktiven Schüler/innen angefangen, viele Möglichkeiten für Hochaktive zu schaffen, die nur rückendeckend betreut wurden. Die Fachleute der Zukunft schon an der Schule groß werden zu lassen, heißt dieses Konzept. Eine einzige Trüffelstunde gab es all die Jahre für uns damaligen Verbindungslehrer. 5-10 echte Arbeitsstunden haben wir sicher immer daraus gemacht. Mit Begeisterung und Lust, klar. Man muss uns also nicht nachträglich bedauern. Aber ohne diese Goldesel-Stunde glaube ich nicht, dass wir teilweise bis zu 10 Musikveranstaltungen im Jahr vorbereitet und gestemmt bekommen , eine stabile Musikszene aufgebaut und ein schuleigenes Tonstudio selbst finanziert und eingerichtet bekommen hätten. Allein die Schirmherrschaft von Frau Dr. Schavan für unseren EXPO-Auftritt – immerhin waren wir eine der wenigen öffentliche Schulen in Deutschland, die von der EXPO-Jury geadelt wurde – hätte uns garantiert nicht getragen. Ein Tausend-Dankeschön ist keine Trüffelstunde. Trüffelstunden sind Anerkennungsstunden, die man benötigt, um Schule vor Ort zu gestalten. Unser Konzept, aktiven Schüler/innen Gestaltungsraum zu geben, benötigt diese Raketenstunden. Diese Beschleunigungsstunden. Unsere EXPO2000 Projekt-Aussagen von damals gelten am Faust heute mehr denn je:
3% eines Jahrgangs sind innerhalb der Schule hochaktiv, wenn man ihnen eigenverantwortlich die Möglichkeit dazu gibt. Mit dem persönlichen Umfeld werden daraus 10% Aktive. Und 10% Aktive können das Bild einer Schule wesentlich verändern, wenn man dies zulässt.
Das Grundkonzept: Begreife die Fähigkeiten aktiver Schüler als Chance für eine lebendige Schule. Integriere die speziellen Interessen aktiver Jugendlicher, um den Lebensraum Schule zu optimieren. Erkenne die Profis der Zukunft, die schon in der Schule ihre Qualitäten preisgeben, so man sie lässt.
Gebt Jugendlichen maximal viele Möglichkeiten, sich zu begeistern, sich zu beweisen, sich einzusetzen, aktiv zu werden, selbst Inhalte zu finden, eigene Fähigkeiten zu entdecken, ernst genommen zu werden – dann habt ihr viel für die Zukunft getan.
Aber um solche Konzepte zu betreiben, benötigt man Verbindungslehrer/innen, die man zumindest mit einer Trüffelstunde ausstatten kann. Welcher Maschinenbauingenieur (das wäre ich übrigens beinah geworden, wenn mich die Schule am Ende nicht doch viel mehr gereizt hätte) käme auf die absurde Idee, eine innovative Idee für neue Hochleistungsturbine für seinen Konzern nebenher in seiner Freizeit zu entwickeln, aber dafür nur einen Händedruck von seinem Konzernchef zu bekommen.
Schule tickt hier auch nicht anders, muss allerdings unter erschwerten Bedingungen ihren Betrieb am Laufen halten. Betriebe stellen ihre Mitarbeiter nach Einstellungsgesprächen und Bewerbungen ein. Schule bekommt Mitarbeiter von einer Behörde zugewiesen (mit ganz wenigen Ausnahmen, die bei uns Jahre zurückliegen). Jeder Betrieb ginge pleite, wenn er Mitarbeiter nach Zuweisung einstellen müsste. Schule muss dieses Kunststück vollbringen. Die Trüffelstunden sind die einzige Steuerungsmöglichkeit für Schulleitungen, der eigenen Schule einen eigenen Stil zu geben. Mit den im Laufe der Jahre zugewiesenen Kolleg/innen einen guten individuellen Schulstil zu finden. Projekte ins Leben zu rufen, die zur Schule passen. Ich schildere einmal die Bereiche, die am Faust Trüffelstunden benötigen. Naturwissenschaftliche Sammlungsleitungen, Fachabteilungsleitungen, eine exzellente individuelle Oberstufenberatung, eine exzellente schuleigene Berufsberatung, eine durchdachte Suchtprävention, eine große Streitschlichtertradition, ein Tonstudio samt Jugend-Musikszene, ein hochaktives Verbindungslehrerteam, eine Vielzahl von Austauschprogrammen, eine gute Pressearbeit, ein innovatives Hausaufgabenbetreuungskonzept, viele Beratungs- und Unterstützungskonzepte und und und … Faust ist bunt, vielfältig und aktiv. Seit ich denken kann. Wir haben viele Klippen gemeistert. Aber wir hatten offensichtlich trotzdem immer noch Zuspruch vom Oberschulamt und dem späteren Regierungspräsidium, doch irgendwie am Ende mit viel Ringen um die gute Schulkultur noch ein paar Trüffelstunden für das Faust aus einen Topf zu bekommen. Jedes Jahr auf’s Neue: Daumen drücken. Auf Holz klopfen. Gut verhandeln. Jetzt scheint echter Trüffelstundenkahlschlag angesagt. Rasenmähermethode. So zumindest wirkt es auf uns. Die Faktor 0,5 Trüffelstunden stehen zur Disposition. Und die Daumendrück- und Holzklopf-Trüffel, die früher möglicherweise durch Überzeugungsarbeit aus doch irgendwo noch vorhandenen Töpfen von höherer Stelle “geduldet” verwendet werden durften, die tauchen in der Statistik einfach nicht mehr auf, weil es sie ja rechtlich zugestanden gar nie gab. Schulen, die nie um den Trüffel gerungen haben, merken das Streichkonzert vielleicht gar nicht so heftig. Für das Faust, das sage ich aus voller Überzeugung, ist das Streichkonzert der Trüffelstunden eine echte pädagogische Katastrophe. Für einen Fachabteilungsleiter, der für Entwicklung einer Schule mit weit über 1200 Schüler/innen und 120 Kolleg/innen verantwortlich zeichnen soll, ein Schlag ins Gesicht.
Ich werde später im Flügelverleih-Blog an diesem Thema konstruktiv weiterschreiben, will aber an dieser Stelle schon einmal einen ersten praktischen Vorschlag einbringen. Wenn es der rot-grünen Regierung um die Stärkung der Bildung geht und nicht nur um das reine Sparen und davon gehe ich eigentlich immer noch aus, dann muss bei allem Verständnis für die Probleme bei der Haushaltskonsolidierung z.B. ein dringender Schritt gemacht werden. Die Regierungspräsidien müssen Deputatsstunden für die anstehenden Umstrukturierungs-Prozess zu bekommen. Eine Vollstelle für den Übergang. Möglichst Trüffelstunden für aktive Mitarbeiter/innen, die es als persönliche Herausforderung ansehen, trotz dem angesagten Sparen mit den einzelnen Schulen ins individuelle Gespräch zu kommen, um zu vermeiden, dass der Rasenmäher die aktivsten Schulen pädagogisch an die Wand fahren lässt. Der Sparzwang auch an der uns vorgeschalteten Behörde degradiert diese zur reinen Deputatsstundenverwaltungsbehörde ohne jegliche Möglichkeit, Lehrereinstellungen und Deputatszuweisungen als innovatives Schulentwicklungsinstrument zu verwenden. An der Basis haben wir das Gefühl, von denen, die uns eigentlich unterstützen könnten, vollkommen verlassen worden zu sein. Auch das kann Rot-Grün niemals wollen. Sie merken, ich bin noch voll blauäugiger Hoffnung.
Mit freundlichen Grüßen aus Staufen
Heinz Bayer
Fachabteilungsleiter für Schulentwickung
Leiter de Nachmittagsschule
p.s. Einer unserer Schulsprecher hat vor vielen Jahren für unsere schüleraktiven Konzepte das “Prinzip Kaktus” erfunden. Der Kaktus benötigt nur wenig Wasser und Pflege, wächst auf kargem Boden, um am Ende trotzdem sehr viel Substanz zu entwickeln. Jetzt habe ich das Gefühl, unserem Kaktus wird auch noch der karge Boden aus Spargründen entzogen.
Sehr geehrter Herr Minister.
Das kann es nicht sein.
Für Insider hier vielleicht auch noch das letzte faust-aktuell zum Thema, falls noch nicht gelesen.