Liebe Leser/innen
Jetzt habe ich gerade an die Eltern meiner eigenen Klasse - ich bin im Moment Fünftklassklassenlehrer – eine Mail geschrieben, bei der ich gedacht habe, dass ich sie eigentlich auch gleich als Blog setzen kann. Das mach ich doch glatt.
Liebe Eltern
Zuerst einmal will ich mich entschuldigen, dass zu den 2 Wochen Pfingstferien in der nächsten Woche auch noch 4 unterrichtsfreie Tage hinzukommen. Aber ganz ehrlich: wir hatten keine andere Wahl. Ein Doppeljahrgang ist ein Doppeljahrgang. Fast 240 Abiturient/innen zu prüfen, das bedeutet viele, viele Prüfer, Protokollanten und Räume. Also schulfrei. Ganz unerwartet. Das ist aus Schüler/innensicht natürlich erst einmal wunderbar. Wer kennt das nicht aus der eigenen Schulzeit: Wenn Schule ausfiel, war die Welt in Ordnung.:-) Ist ja auch irgendwie normal so – dieser urmenschliche Zug in jedem von uns. Die Evolution hat es eben noch nicht erreicht, als dezente Änderung dieser Regung in die Gefühlswelt das “oh je, da fällt Schule aus, wie schrecklich”-Gefühl einzubauen. Ich glaube, das wäre auch keine wirklich tollere Welt.
Jedoch die zivilisatorische, kopfgesteuerte Komponente mit und ohne Schulausfall heißt: Nach 8 Gymnasialjahren soll das im Terminkalender stehen, was jetzt fast 240 junge Menschen am Faust im Terminkalender stehen haben: Abiball. Und eine große Welt, die einem offen steht. Die hunderttausend Möglichkeiten, bis man sich festgelegt hat. Magische Momente für mich. Ich gestehe. Auch nach 30 Jahren Schulmeisterei. Magic. Und beim Doppeljahrgang natürlich doppelt. G8 – G9 ? Wir haben G8 nicht gemacht. Aber ich muss sagen: Für manche/n finde ich G8 richtig gut. Für manche/n vielleicht auch weniger gut. Da ich persönlich aber empfinde, dass G8 für die Mehrheit eine recht gute Wahl ist, kann ich damit auch ziemlich gut leben. Ich habe in den letzten 30 Jahren so viele Schüler/innen in G9 erlebt, denen Schule in der 13. Klasse viel zu eng wurde. Viel zu klein. Viel zu eingeschränkt. Die viel zu erwachsen waren, um ihre Füße noch unter unseren Tisch zu stecken. Die dringend raus mussten. Vielleicht kennen Sie ja selbst noch dieses Gefühl von früher. Aber trotzdem ist eines glasklar: G8 ist dichter als das alte G9. Man sollte keine Lücken entstehen lassen, um G8 trotzdem bunt und prall zu leben. Wir sind eine Schule mit vielen Facetten, vielen Möglichkeiten, vielen Bereichen, in denen man mit Freunden tagtäglich Spannendes erleben kann. Schule ist ein bunter, praller Lebensraum, wenn man keine Notenprobleme hat. Wenn man Schule im grünen Bereich lebt. Noten zwischen eins und 3 bis 4 sein eigen nennt. Dazu bedarf es der Erkenntnis, dass es keine wesentlichen Lücken gibt. Man baut ein Haus aus lauter Steinen und jeder Stein gibt Stabilität. Aber nur jeder 20ste Stein wird nachgeprüft. Jeder 20ste Stein, das sind die Klassenarbeiten. Viele Schüler/innen meinen, es würde ausreichen, wenn jeder 20ste Stein im grünen Bereich steht. Starren nur auf die Arbeiten und die Noten. Dabei ist das einfach eher die Nebensache. Die Hauptsache ist, dass man später nach einer Schulzeit im grünen Bereich englisch sprechen und mathematisch denken kann und eine Ahnung von Geschichte hat und (zumindest ein ansehnlicher Teil der Schüler/innen) sich zutraut, einen naturwissenschaftlichen Beruf zu ergreifen, weil die Welt gerettet werden muss – dringend – und da braucht man unter anderem kluge gut ausgebildete später-mal-Ingenieurs-Köpfe.
“Was will er uns eigentlich sagen, der Bayer.” fragen Sie jetzt sicher. “Unsere armen Kinder. Das müssen sie sicher vor Mathe auch immer über sich ergehen lassen.”
Also gut. Eigentlich wollte ich nur sagen, dass Ihre Kinder in Mathe so ein kleines Büchlein von mir mitbekommen haben, in dem sie entspannt und ohne den Druck des täglichen Unterrichtstempos mit Hilfe dieses Büchleins und des Mathebuches in den unterrichtsfreien Tagen der nächsten Woche selbstständig mit Bruchrechnen umgehen lernen könnten. Also ich finde „sollten“. Wegen der späteren Lücken. Und dem Leben nach der Schule. Und damit Ihre Kinder das nicht vergessen, weil die Evolution eben erst so weit ist, dass sie es lieber vergessen würden, schicke ich Ihnen hier diesen kleinen eMail-Tipp, damit Sie Ihren Sohn oder Ihre Tochter an das Büchlein erinnern können. Sagen Sie, der Bayer hätte gesagt, dass Mathe lernen nicht weh tut, auch wenn man zu Hause keinen strengen Lehrer hinter sich stehen hat. Oder gerade darum. Und dass die Arbeit über das Bruchrechnen zum Schuljahresende noch der Joker ist – für all jene, die in der heute zurückgegebenen Geometriearbeit nicht so sehr im grünen Bereich gepunktet haben. Ich habe die Arbeiten übrigens kommentiert, schauen Sie ruhig einmal rein.
ansonsten genießen Sie die Zeit ohne die wilden Schulgeschichten am Mittagstisch
Gruß Heinz Bayer